Bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien ist die bisherige Favoritin im ersten Wahldurchgang gescheitert. | Die Stichwahl wird von Staatschefin Rousseff und dem liberalen Sozialdemokraten Neves bestritten.
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Brasilia. "Das geeinte Volk wird niemals besiegt werden!" Und: "Der Kampf geht weiter!" Mit diesen alten Slogans der Arbeiterbewegung schmückte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am Sonntag ihre Rede nach der Veröffentlichung des Ergebnisses des ersten Wahldurchgangs. Das amtierende Staatsoberhaupt gilt zwar als Favoritin für die Stichwahl am 26. Oktober, aber Dilma Rousseff und ihre seit drei Legislaturperioden ununterbrochen regierende Arbeiterpartei mussten nach dem ersten Wahlgang eine ziemliche Schlappe hinnehmen.
Nur knapp 42 Prozent - und damit deutlich weniger als in den Umfragen prognostiziert - stimmten für die ehemalige Guerilla-Kämpferin. Das ist das schlechteste Ergebnis, das die Arbeiterpartei in den vergangenen zwölf Jahren eingefahren hat. Im Vergleich zum ersten Wahlgang vor vier Jahren verlor Rousseff rund fünf Prozent.
Die zweite Überraschung des Urnenganges: Es ist nicht die von Umfragen und Medien favorisierte evangelikale Umweltaktivistin Marina Silva, die für sozialistische Partei angetreten war, in die Stichwahl gekommen. Sondern Aecio Neves von den christlich und liberal angehauchten Sozialdemokraten.
Dabei hatte die von den Sozialisten nominierte Marina Silva lange in den Umfragen geführt - obwohl ihre Kandidatur eine Notlösung war, nachdem der eigentliche Spitzenkandidat der Sozialisten, Eduardo Campos, bei einem Flugzeugabsturz im August ums Leben gekommen war. Das sorgte für ein Anfangsmomentum und Mitleidseffekte. Doch die Partei musste sich schließlich dazu entscheiden, den Tod des Spitzenkandidaten leiser zu behandeln, nachdem kurze Zeit nach dem Absturz irritierende Fragen über den Eigentümer des abgestürzten Flugzeuges aufgekommen waren - der Jet gehörte einem einflussreichen Zuckerrohr-Imperium
Zudem konnte sich Marina Silva keine gewinnbringende Strategie zurechtlegen. Brasilianische Medien urteilen, dass Silva, anstatt zwischen ihr und den liberaleren Sozialdemokraten unentschlossene Wähler zu keilen, lieber in der Klientel der Arbeiterpartei mit dem Versprechen, das Programm zur Armutsbekämpfung auszuweiten, herumgefischt hatte. Die Arbeiterpartei antwortete mit einer Angstkampagne: Mit Silva würde das Land ins Chaos schlittern und zudem, nachdem Silva aus Umweltgründen aus dem Erdöl aussteigen wollte, würde kein Geld mehr für die Programme zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen. Bei der letzten Fernsehdiskussion ging Rousseff gar nicht mehr auf die Argumente Silvas ein, sondern konzentrierte sich ganz auf Aecio Neves als Sparringpartner, zog ihn sogar bewusst, wie manche Beobachter meinen, ins Rampenlicht. Das Ergebnis: Silva landete nach dem ersten Urnengang mit 21 Prozent auf Rang drei. Aecio Neves, Sohn des zwar 1985 gewählten aber kurz vor seiner Vereidigung gestorbenen brasilianischen Präsidenten Tancredo Neves, punktete mit einem starken Auftritt und kam im ersten Wahldurchgang auf 33,55 Prozent der Stimmen.
Ein altbekannter Gegner
Bei der Stichwahl kommt es nun zum "Klassiker" in der brasilianischen Politik: Die Sozialdemokraten aus dem bürgerlich-liberalen Lager fordern die Arbeiterpartei heraus. Es ist das Duell, das die vergangenen Jahre die brasilianische Politik bestimmt hat und bei dem die Arbeiterpartei in der jüngeren Vergangenheit immer gesiegt hatte.
Nun stehen dem größten südamerikanischen Land mit seinen 143 Millionen Wahlberechtigten drei nervenaufreibende Wochen bevor, denn Brasiliens Wahlvolk ist unberechenbar.
Die Regierungspartei ist von Skandalen erschüttert. Die Korruption im staatlichen Erdölkonzern Petrobras hat das Image Rousseffs beschädigt, dennoch genießt sie vor allem in den Armenvierteln wegen der populären Sozialprogramme der Partei sowie dem brasilianischen Übervater Lula hohe Sympathien. Neves verspricht klug, diese Programme nicht anzutasten, aber die Wirtschaftspolitik zu liberalisieren.
Hinter den Kulissen werden unterdessen die ersten Bündnisse geschmiedet. Marina Silva deutete bereits an, ihren Wählern eine Unterstützung Neves’ nahezulegen. Zwar stehen sich Rousseffs Arbeiterpartei und Silvas Sozialisten auf dem Papier nahe, doch die Kampagne Rousseffs gegen Silva hat viel Porzellan zerschlagen. Dass sich knapp 60 Prozent der Brasilianer gegen Rousseff im ersten Wahlgang entschieden, könnte Vorbote eines Wechsel im Landes sein.
Rousseffs stellt nun den Präsidentensohn Neves als Vertreter alter Eliten da: Die Gespenster der Vergangenheit dürften nicht zurückkehren.
Übervater Lula wartet ab
Allerdings scharrt der zweimalige Präsident und Mentor Rousseffs, Lula da Silva, schon in den Startlöchern für eine Kandidatur 2018. Lula hatte 2010 Rousseff den Vortritt überlassen, da er nach zwei Legislaturperioden eine von der Verfassung geforderte Pause einlegen musste, doch in vier Jahren darf er wieder kandidieren. Offiziell sagte er erst am Samstag, es sei "noch zu früh", um darüber nachzudenken, betont aber immer wieder, dass für ihn diese Option existiere.