Mit 2,15 Treffern pro Spiel unterbietet die Euro 2016 sogar das unsägliche Defensivspektakel der WM 1990.
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Können Sie sich noch an die erste Spielszene der Euro 2016 erinnern? Richtig, das Eröffnungsmatch zwischen Frankreich und Rumänien am 10. Juni begann mit dem Anstoß - aber nicht Richtung gegnerische Hälfte, sondern zu den eigenen Reihen. Die EM begann also mit einem Rückpass - und das kann, drei Spiele vor Turnierende, durchaus als schlechtes Omen bewertet werden. Die Regeländerung der Fifa, die seit kurzem und somit erstmals bei einer EM-Endrunde eine Spieleröffnung nach hinten ermöglicht, ist freilich nicht schuld an der grassierenden Torflaute zwischen Lille und Marseille. (Wiewohl die Sinnhaftigkeit dieser Reglementänderung wirklich schleierhaft ist, weil im Wort "Anstoß" sinngemäß die Richtung zum gegnerischen Tor mitgemeint ist. To kick off im Englischen bedeutet ja wegstoßen, wegschlagen.) Jedenfalls besagt die Torstatistik nach 48 von 51 EM-Spielen, dass absolut zwar 103 Treffer bejubelt wurden (Elfmeterschießen ausgenommen), im Schnitt waren es pro Spiel jedoch nur 2,15Tore. Das Sieben-Treffer-Match zwischen Frankreich und Island (5:2) hat diese als mies zu bezeichnende Bilanz freilich noch etwas geschönt. Denn damit liegt die EM-Endrunde sogar unter der schlechtesten, langweiligsten und torärmsten Endrunde der jüngeren Vergangenheit - gemeint ist die WM 1990 in Italien. Damals fielen - übrigens im selben Modus wie der jetzigen Euro - sogar 115 Tore beziehungsweise 2,21 pro Spiel. Weil die damaligen Rückpass- und Rückzugsorgien die Geduld der Fußballfans weltweit überstrapaziert hatten, musste die Fifa zwei weitreichende Regeländerungen beschließen: Ein vom Torwart aufgenommener Rückpass per pedes wird mit indirektem Freistoß sanktioniert; für einen Sieg gibt es nicht mehr zwei, sondern drei Punkte. Siehe da - schon vier Jahre später in den USA schnellte die Bilanz auf 2,71 Tor pro Spiel hoch, und das Turnier war von unbändigem Offensivgeist geprägt (die Final-Nullnummer zwischen Brasilien und Italien einmal ausgenommen).
Über die Gründe der mageren Torausbeute in Frankreich brüten allerorten die Köpfe der Experten - als Verursacher wurde allzuschnell die Turnierexpansion von 16 auf 24 Teams und mit ihr die vielen defensiv agierenden kleinen Nationen ausgemacht. Dabei gingen die vier Vorrunden-Nullnummern durchwegs auf das Konto von Nationen, die eigentlich einen Offensiv-Stil pflegen (0:0 gab es bei Deutschland-Polen, Portugal-Österreich, Frankreich-Schweiz und England-Slowakei). Was letztlich den desaströsen Vorrunden-Wert von 1,92Treffern pro Spiel ergab. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren in Brasilien waren es nach der WM-Vorrunde im Schnitt noch 2,83 Tore, wiewohl dort - anders als in Frankreich - mitunter unmenschliche Hitze herrschte. Und die schlechteste EM-Partie lieferten sich im Achtelfinale mit Kroatien und Portugal (0:1 n.V.) ausgerechnet zwei Mannschaften, die eigentlich Offensivgeist in ihrer DNA haben. Richtig ist natürlich, dass kleinere und Turnier-unerfahrenere Nationen ihre Kräfte zuallererst in einer geordneten Defensive bündeln - und damit auch sehr erfolgreich gewesen sind. Wenn 2018 in Russland die Torflaute prolongiert wird, wird man sicher nicht drumherumkommen, wirklich sinnvolle Reglementänderung zur Förderung der Offensive - wie nach Italien 1990 - anzustoßen.