Günter Geyer sieht die Konjunktur im Euroraum auf längere Zeit stagnieren.
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"Wiener Zeitung": Herr Generaldirektor, Sie übergeben am 1. Juni Ihrem Kronprinzen Peter Hagen das Zepter bei der Vienna Insurance Group (VIG), bleiben aber Vorstandschef des VIG-Hauptaktionärs "Wiener Städtischer Versicherungsverein" und behalten auch Ihre bisherigen Aufsichtsratsmandate bei VIG-Töchtern. Sie werden heuer 69. Warum sträuben Sie sich partout gegen die wohlverdiente Pension?
Günter Geyer: Unser Hauptaktionär ist sehr engagiert in der Unterstützung der VIG und ihrer Tochtergesellschaften bei kulturellen und sozialen Projekten. Hier will ich künftig stärker als bisher mitwirken, und ab Juni habe ich dann dafür mehr Zeit. Darauf freue ich mich. Für mich ist das die schöne Art, die Freizeit zu genießen. Außerdem: Wenn man bei der Wiener Städtischen oder der Donau-Versicherung Aufsichtsratschef ist, kann man die eine oder andere Erfahrung, die man im Berufsleben gemacht hat, weitergeben. Da geht es auch um das Einbringen strategischer Überlegungen, was mir grundsätzlich viel Freude macht.
Werden Sie Ihrem Nachfolger Ratschläge mit auf die Reise geben?
Das braucht er nicht. Peter Hagen ist ein hervorragender Manager, er kennt das Haus und den Konzern. Ich wüsste nicht, welche Ratschläge ich ihm geben sollte.
Wenn Sie Bilanz ziehen über Ihre fast elf Jahre als Generaldirektor: Worauf sind Sie besonders stolz?
Zuallererst auf das Team und die Mitarbeiter. Dann darauf, dass wir in Tschechien 1999 - zwei Jahre vor meiner Zeit als Generaldirektor - binnen zwei Monaten 1,1 Millionen neue Kunden akquiriert haben. Umgelegt auf normale Arbeitszeit haben wir damals alle sieben Sekunden einen Neukunden gewonnen. Ein Jahr später haben wir das in der Slowakei in ähnlicher Weise wiederholt. Stolz bin ich natürlich auch darauf, dass wir durch unsere Auslandsexpansion mittlerweile der führende Versicherer in Zentral- und Osteuropa sind. Das hätte ich mir vorher nie träumen lassen. Dass wir in Österreich 2005 zur Nummer eins aufgestiegen und 2008 mit der Erste Group eine Vertriebspartnerschaft eingegangen sind, zähle ich ebenfalls zu den Highlights meines Berufslebens.
Gibt es etwas, wo Sie im Rückblick Selbstkritik üben?
Ja, wir sind in einige osteuropäische Länder nicht schnell genug hineingegangen - da haben wir zu lange gewartet. Nach Ungarn beispielsweise hätten wir viel früher gehen sollen. Wir sind dort heute von der Marktbedeutung her nicht an der Position, die wir uns wünschen würden.
Ein weiterer Punkt: Aufgrund unserer Mehrmarkenstrategie hat sich in den Verwaltungsbereichen des Konzerns immer wieder die Frage gestellt, ob dieses oder jenes IT-System eingesetzt werden soll. Da haben die Entscheidungsphasen manchmal zu lange gedauert. Mit der SAP-Einführung bei den größten und wichtigsten Tochtergesellschaften haben wir das jetzt beschleunigt.
Dass Sie erst kürzlich bei der polnischen Warta-Versicherung mit Ihrem Kaufangebot nicht zum Zug gekommen sind, stört Sie nicht?
Nein, weil wir bei Akquisitionen immer ein festes Prinzip haben - nämlich, dass wir nicht um jeden Preis kaufen. Wir hätten die Warta gerne bekommen, aber zu den Konditionen, die wir angeboten haben.
Anderes Thema: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der europäischen Staatsschuldenkrise?
Die Schuldenkrise wird uns noch sehr lange beschäftigen. Das ist noch ein Thema für mindestens zehn Jahre. Für die Eurozone rechne ich für diesen Zeitraum deshalb mit einer Stagnation, was die Konjunktur betrifft. Was mir besondere Sorgen macht, ist das Problem der sozialen Spannungen, das man nicht unterschätzen sollte. Dauernd nur Einsparungen, so wie in Griechenland oder Spanien, hält eine Demokratie nicht lange aus. Darin sehe ich eine echte Gefahr.
Solvency II, das strengere Kapitalregime für Versicherer, tritt 2013 in Kraft. Hat die VIG ihre Hausaufgaben schon erledigt?
Die können noch nicht voll erledigt sein, weil über einige Bestimmungen des künftigen Regelwerks noch diskutiert wird. Unsere Vorbereitungen sind im Laufen, wir sind im Plan. Allerdings müssen bei Solvency II noch sehr wichtige Fragen eindeutig geklärt werden - vor allem das Ausmaß der Kapitalunterlegung für Immobilien, Aktien und Staatsanleihen. Wir sind aber, was unsere Ausstattung mit Eigenkapital betrifft, sehr gut aufgestellt: Unsere Solvabilitätsquote liegt derzeit bei rund 200 Prozent.
Sie sind demnächst in Sachen Buwog-Affäre vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geladen. Die VIG war ja Teil des siegreichen Immofinanz-Bieterkonsortiums. Was werden Sie denn vor dem Ausschuss sagen?
Ich weiß nicht, was man mich dort fragen wird.
Aber das werden Sie sich doch ungefähr ausrechnen können?
Ich kann nur sagen, dass das Buwog-Privatisierungsverfahren - was unseren Teil betrifft - korrekt abgelaufen ist. Es hat für uns nie das Thema eines Hocheggers oder damit zusammenhängende Provisionsfragen gegeben.
Zur Person
Günter Geyer, geboren am 31. Juli 1943, ist seit 38 Jahren im Konzern der Wiener Städtischen, der heute unter Vienna Insurance Group (VIG) firmiert, tätig. An der Vorstandsspitze des börsenotierten Konzerns steht der promovierte Jurist seit Juli 2001, am 1. Juni übergibt er den Chefsessel an seinen Vize Peter Hagen. Die VIG ist Österreichs größte Versicherungsgruppe, verfügt über mehr als 50 Gesellschaften in 25 Ländern, hat 24.900 Mitarbeiter und kam 2011 auf 8,9 Milliarden Euro Prämienvolumen.