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Nordkorea: Das Kalkül der Konfliktparteien

Von Thomas Seifert

Analysen

Mit seiner Rhetorik spielt Kim Jong-un der Pazifik-Politik der USA in die Hände.


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Pjöngjang. Als Kim Jong-un am 11. April 2012 von seinen Genossen zum Generalsekretär der Partei der Arbeit Koreas und damit zum neuen starken Mann gewählt wurde, deutete zunächst alles auf Entspannung und Reform hin. Optimisten hofften sogar darauf, dass zum 60. Jahrestag des Koreakrieg-Waffenstillstandes, der am 27. Juli 1953 unterzeichnet worden war, aus dem Waffenstillstand ein Friede werden könnte.

Doch mit dem Raketenstart einer Unha-3 - eine Weiterentwicklung der Interkontinentalrakete Taepodong-2 - am 12. Dezember 2012 wurde alles anders.

Denn westliche Beobachter werteten den Start als verschleierten Raketentest einer ballistischen Interkontinentalrakete. Der UN-Sicherheitsrat verschärfte daraufhin die Sanktionen gegen Nordkorea. Pjöngjangs Antwort: ein Kernwaffentest in P’unggye-ri am 12. Februar 2013. In Reaktion darauf verschärfte der UN-Sicherheitsrat in New York die Sanktionen weiter.

Die nordkoreanische Führung sagte daraufhin am 8. März, der Waffenstillstand von 1953 sei null und nichtig und man betrachte sich "im Kriegszustand" mit Südkorea. Dann kamen Drohungen eines Kernwaffenangriffs mit der Langstreckenrakete KN-08. Es folgten noch schärfere und schrillere Drohungen samt Propagandavideo, das einen Atomkrieg gegen die USA zeigt, und das Kappen des roten Telefons zwischen den beiden Koreas. Mit der Schließung des gemeinsam mit Südkorea betriebenen Industriekomplexes in Kaesong, der dem nordkoreanischen Regime nicht unbedeutende Deviseneinnahmen bringt, wollte Nordkorea der Außenwelt demonstrieren, dass es Pjöngjang durchaus ernst ist mit den Drohungen und die Führung bereit ist, finanzielle Opfer zu bringen. Die USA entsandten zusätzliche Kräfte in die Region und ließen Ende März im Rahmen des gemeinsamen US-südkoreanischen Manövers Foul Eagle B-2- Tarnkappenbomber über Südkorea fliegen. Dieser Flugzeugtyp kann mit Atombomben ausgerüstet werden - eine klare Botschaft der USA an die Adresse Kim Jong-uns.

Pjöngjangs Position

Für Nordkorea waren die Sanktionen im Gefolge des Raketenstarts im Dezember 2012 "das Drücken auf den ersten roten Knopf", wie es ein nordkoreanischer Gesprächspartner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ausdrückte. Die USA seien schuld an den Provokationen, indem sie einerseits die Sanktionen vorangetrieben hätten und andererseits "lange Militärmanöver direkt vor unserer Nase abhalten", wie die nordkoreanische Quelle klagt.

Unklar bleibt, warum Pjöngjang die Rhetorik derart hochgeschraubt hat. Westliche Beobachter meinen, der politisch wie militärisch unerfahrene Kim Jong-un wolle sich bei seinen Parteigranden beweisen. Andererseits: Die Lage war schon schlimmer. 1994 standen Nordkorea und die USA am Rande einer direkten Konfrontation. Jimmy Carter konnte die Lage damals entschärfen und Nordkorea zum Einfrieren seines Atomprogramms bewegen. Oder 2010: Damals wurde die südkoreanische Insel Jeonpjeong von nordkoreanischer Artillerie unter Beschuss genommen, die südkoreanische Fregatte Cheonan sank - nach einem von der nordkoreanischen Marine erzielten Torpedotreffer, wie südkoreanische Militärs meinten. Für das Wochenende oder Montag, den 15. März (dem 101. Geburtstag von Staatsgründer Kim Il-sung, dem Großvater des heutigen Machthabers Kim Jong-un) rechnen Experten mit einem weiteren Raketenstart.

Seouls Standpunkt

Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye hat im Wahlkampf davon gesprochen, die Sunshine-Politik eines Dialogs mit Nordkorea, die von Präsident Kim Dae Jung 1998 begonnen, unter Präsident Lee Myung-bak aber 2008 zurückgefahren wurde, wieder vorsichtig aufnehmen zu wollen - und das, obwohl ihre Mutter 1974 bei einem Attentat, das ihrem Vater galt, von einem Nordkoreaner erschossen worden war. Park hat während des Konflikts stets Entschlossenheit gegenüber Pjöngjang demonstriert, gleichzeitig aber von einer Politik der Vertrauensbildung gesprochen.

Das Interesse Chinas

China hat Interesse an einer Pufferzone zu Südkorea, wo US-Soldaten stationiert sind. Daher unterstützt Peking seit jeher Pjöngjang. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee im Koreakrieg von 1950 bis 1953 Seite an Seite mit Nordkoreanern gegen US-Truppen kämpften. Doch zuletzt ist der neue chinesische Präsident Xi Jinping von Pjöngjang abgerückt: Betrachtet Peking Nordkorea immer mehr als Belastung? Denn Pekings Wunschszenario lautet: eine friedliche Wiedervereinigung der beiden Koreas und ein Abzug der US-Truppen aus dem wiedervereinigten Korea. Kim Jong-un steht mit seiner Eskalationspolitik diesen Interessen im Weg. China ist nicht bereit, ein nuklear bewaffnetes Nordkorea zu dulden.

Die Rolle der USA

Die USA nützen die Krise, um ihren "Pivot to Asia", den "Schwenk nach Asien", voranzutreiben. Das Agieren Nordkoreas festigt in den Augen der Führung von Südkorea und Japan die Rolle der USA als Garant für ihre Sicherheit und stärkt die Bande zwischen Washington und Seoul beziehungsweise Tokio. Washington ist aber an Deeskalation interessiert: Schließlich haben die Vereinigten Staaten 28.500 Soldaten zum Teil direkt an der Grenze zu Nordkorea stationiert.