)
Seoul - Als der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Il unlängst eine Fabrik besuchte, in der keiner der Arbeiter einen Mantel trug, zog er seinen eigenen aus, bevor er sich mit den Beschäftigten fotografieren ließ. Diese Geste ihres obersten Führers habe die Arbeiter zutiefst berührt, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA. Geschichten wie diese verbreiten die staatlichen Medien dieser Tage häufig. Das Regime bemüht sich verzweifelt, die Moral der Menschen zu heben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Denn der Bevölkerung steht ein kalter Hungerwinter bevor. Die USA und andere westliche Staaten haben ihre Hilfslieferungen an das Land ausgesetzt, weil Nordkorea einräumte, sein Atomprogramm entgegen einem 1994 geschlossenen Abkommen wieder aufgenommen zu haben. Nun gab das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) bekannt, dass es 2,9 Millionen hilfsbedürftige Nordkoreaner nicht erreichen werde - es sei denn, Geberländer wie die USA und Japan würden sofort Unterstützung bereitstellen. Die aber sind immer weniger willens, dem widerspenstigen Regime in Pjöngjang Hilfe zu leisten. Die unmittelbaren Opfer werden alte Menschen und Kinder sein, darunter 760.000 Kinder in Waisenhäusern. Sie sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Nordkorea propagiert Selbstversorgung als nationale Philosophie. Dennoch kamen die Behörden ab Mitte der 90-er Jahre nicht umhin, das Ausland um Unterstützung zu bitten. Denn Überschwemmungen machten Ernten zunichte und lösten Hungersnöte aus.
"Meine Familie hat alles verkauft, von der Nähmaschine bis hin zu Decken, um sie für einen Sack Mais einzutauschen", sagt Lim Hong Keun, ein 42-jähriger nordkoreanischer Bergmann, der 2000 nach Südkorea flüchtete. Zehntausende Menschen begaben sich auf der Suche nach Nahrung auf Wanderschaft, häufig über die Grenze nach China, Nordkoreas letztem ideologischen Verbündeten. "Züge saßen oft zwei oder drei Tage an jedem Bahnhof fest, weil es keinen Strom gab", sagt Lim in einem Vortrag vor südkoreanischen Oberschülern.
Auf dem Höhepunkt der Hungersnot 1997-98 sammelten Soldaten Särge ein, berichtet Lee Mi Young, ein Nordkoreaner, der ebenfalls 2000 in den Süden der Halbinsel flüchtete. "Sie schichteten die Särge auf und fuhren sie in Ochsenkarren zum Massenbegräbnis". Der Abstieg der nordkoreanischen Wirtschaft begann Anfang der 90er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem wichtigsten Handelspartner und Lieferanten von Hilfsgütern.
Nach südkoreanischen Angaben begann 1999 ein Aufschwung, die Wirtschaft wuchs überwiegend dank ausländischer Hilfe um sechs Prozent. Im Jahr 2000 betrug das Wirtschaftswachstum 1,3 Prozent, im vergangenen Jahr 3,7 Prozent. Das Prokopfeinkommen lag demnach 2001 in Nordkorea bei 706 Dollar (685 Euro), in Südkorea bei 8.900 Dollar. Das Handelsvolumen des Nordens betrug 2,27 Milliarden Dollar, das des Südens 291,5 Milliarden.
In den vergangenen Tagen hat Pjöngjang Siegel und Überwachungstechnik der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) entfernt und Vorbereitungen für die Wiederinbetriebnahme eines still gelegten Atomreaktors getroffen. Die Atomanlagen waren nach dem 1994 geschlossenen Abkommen mit den USA stillgelegt worden. Nach Expertenansicht ist die Strommenge, die der Reaktor erzeugen kann, jedoch zu vernachlässigen. Die US-Regierung befürchtet daher, dass Nordkorea in den Anlagen Plutonium gewinnen will, um Atombomben zu bauen.