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Nordkorea: Freie Bahn für den nächsten Kim

Von Georg Friesenbichler

Politik

Fortsetzung der Dynastie als Priorität? | China und die USA unter Zugzwang. | Das Rätselraten um die Motive Nordkoreas für die fortgesetzten Provokationen gegenüber dem Rest der Welt ist um eine Facette reicher: Im Schatten eines Atomtests und von Raketenstarts regelt der vermutlich kranke Diktator Kim Jong-il offenbar seine Nachfolge. Sein jüngster Sohn Kim Jong-un soll die Dynastie in dem hermetisch abgeriegelten Land fortführen.


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Das passt zu der These mancher Experten, die glauben, dass Kim Jong-Il mit seinen Drohgebärden vor allem daran arbeitet, seiner Dynastie das Überleben zu sichern. Seinem präsumptiven Erben möchte er jene Anerkennung durch die Supermacht USA auf den Weg mitgeben, die er auch durch vergangene Zugeständnisse nicht erreicht sah. Zuletzt hatten die USA, noch unter George W. Bush, wirtschaftliche Hilfe und diplomatische Anerkennung in Aussicht gestellt, wenn Nordkorea auf sein Atomprogramm verzichte.

Die versprochene Abrüstung wird nun vom Regime in Pjöngjang ebenso zurückgenommen wie die spärlichen Folgen der "Sonnenscheinpolitik", der Entspannungspolitik auf koreanisch. Stattdessen werden die alten Drohszenarien unter neuen Vorwänden wieder aufgebaut und verschärft.

Selbst die Volksrepublik China, Nordkoreas wichtigster Handels- und Gesprächspartner, ist hilflos. Zum einen will China ein Erstarken anderer regionaler Mächte aus geostrategischen Überlegungen verhindern - vor allem Japan spekuliert immer wieder mit dem Abgehen von seiner defensiven Verteidigungspolitik und könnte die nordkoreanischen Provokationen als Vorwand für Aufrüstung nutzen. Zum anderen würde ein Kollaps des nordkoreanischen Regimes hunderttausende Flüchtlinge auf chinesisches Gebiet treiben. Das sind starke Gründe für Peking, dem Nachbarn nicht alle Unterstützung zu entziehen, ohne die er längst zugrunde gegangen wäre.

Kim Jong-il ist die traditionell gute Gesprächsbasis zu China aber derzeit offenbar weniger wichtig als jene zu den USA. Die hat er in der Vergangenheit stets durch Druck erreicht, demselben Muster folgt er - rationaler, als viele wahrhaben wollen - auch jetzt. Denn er hat mit großem Missfallen registrieren müssen, dass Barack Obama Nordkorea offensichtlich weniger Aufmerksamkeit schenkt als anderen Weltregionen. Der US-Spezialbeauftragte für Nordkorea, Stephen Bosworth, steht weiter einer Universität vor, der Ostasienspezialist im Außenministerium harrt noch seiner Ernennung durch den Senat. Dies kann man als mangelnden Respekt interpretieren, und Kim Jong-il tut dies offensichtlich. Mit Wirtschaftshilfen wie früher scheint er sich diesmal nicht zufrieden geben zu wollen. Vielmehr dürfte es ihm um eine Bestandsgarantie durch die USA gehen - was sowohl sein Land als auch seine Dynastie beträfe.

Deren Fortsetzung scheint er seinem Jüngsten zuzutrauen, mit dem er die Vorliebe für westliche Populärkultur teilt. Dem Erben will er in seinen letzten Lebensjahren den Weg frei schaufeln - sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene. Denn die nuklearen Muskelspiele kann man auch als Signal an die heimischen Militärs verstehen. Sieht sich die mächtige Armee als Verwalter einer neu entstandenen Nuklearmacht, wird die Gefahr von Diadochenkämpfen nach Kim Jong-ils Tod geringer - und die Chancen für einen schüchternen Studenten namens Kim Jong-un steigen, in den Fußstapfen seines Vaters auf den alten Wegen weiterschreiten zu können.