Die Erklärung des nordkoreanischen Regimes, es verfüge über Nuklearwaffen "zur Selbstverteidigung gegen die USA" muss die US-Regierung schwer treffen. Präsident George W. Bush hatte sich in den vergangenen Jahren völlig auf Regimewechsel im Mittleren Osten und den Kampf gegen Terrorismus konzentriert und die nukleare Aufrüstung in Nordkorea offenbar vernachlässigt. Und während Bush Amerika durch die Umgestaltung des Mittleren Ostens sicherer machen will, reiht sich eine kommunistische Diktatur in Asien offenbar in die Gruppe der Atommächte ein - vorausgesetzt, dass die Enthüllungen Pjönjangs stimmen und nicht nur ein Schachzug sind.
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Als Präsident George W. Bush vor einigen Tagen in seiner Rede zur Lage der Nation den Iran wortreich als gefährlichen Terrorunterstützer brandmarkte, erwähnte er Nordkorea nur am Rande. Der weichere Ton, den Bush jetzt gegenüber Nordkorea angeschlagen hat, kontrastierte stark mit der Rede vor drei Jahren, als er Nordkorea, den Iran und den Irak gleichermaßen als "Achse des Bösen" bezeichnete.
Im Irak sind die USA einmarschiert, ohne die behaupteten Massenvernichtungswaffen zu finden. Der Iran verhandelt mit den Europäern und der IAEO (Internationale Atomenergieorganisation) über sein Atomprogramm, während sich der nordkoreanische Atomkonflikt, dem die USA am wenigsten Aufmerksamkeit schenkten, nun gefährlich angeheizt hat.
Die US-Außenpolitik hatte sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vollkommen auf den Mittleren Osten konzentriert. Die Kriege in Afghanistan und im Irak, der Kampf gegen den Terror im In- und Ausland stand im Vordergrund. Auch nach der Wiederwahl von Bush schien es so weiterzugehen - die Wahlen im Irak, die Drohgebärden gegen den Iran, die Bemühungen um Friedensverhandlungen zwischen Israel und Palästinensern waren Top-Themen.
Der stillen Bedrohung durch Nordkorea wurde von der Bush-Regierung kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das stalinistisch regierte Land auf der koreanischen Halbinsel passte auch nie so richtig in die "Regime Change"-Theorien der neokonservativen Ideologen in Washington.
Die neue US-Außenministerin Condoleezza Rice hat bei ihrer Europa-Reise noch am Mittwoch warnende bis drohende Worte an die Adresse des Iran gerichtet. Auch Rice hat die Bedrohung durch eine iranische Atombombe offenbar größer eingeschätzt als jene durch Nordkorea. Schon einmal musste sich die frühere Sicherheitsberaterin des Präsidenten und nunmehrige Chefin des State Department vorwerfen lassen, sie setze falsche Prioritäten und hinke den Entwicklungen nach: Bei der Untersuchung der Monate vor den Terroranschlägen wurden zahlreiche Warnzeichen entdeckt, die auf einen baldigen Anschlag durch Osama bin Laden hindeuteten. Rice und die anderen Berater des Präsidenten hätten diese Warnungen aber ignoriert, weil sie noch in der Ideologie des Kalten Kriegs gegen Kommunismus verhaftet gewesen seien, so ihre Kritiker.
Bush hat in seinem missionarischen Befreiungseifer für den Mittleren Osten den Konflikt mit Nordkorea offenbar unterschätzt. Das scheint sich nun zu rächen. Die Schlappe für die US-Regierung, die alleine durch die Erklärung Nordkoreas, es verfüge über Atomwaffen, entstanden ist, lässt sich nicht wegdiskutieren - egal ob die Angaben stimmen oder nicht. APA