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Nordkoreas neuer Pragmatismus

Von Klaus Huhold

Politik

Internationale Isolation und marode Industrie als schwere Hindernisse.


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Pjöngjang/Wien. Es hört sich nicht wie ein großer Reformschritt an, hat aber für Nordkorea einige Bedeutung: Das Parlament hat bei einer Sitzung, die persönlich von Staatsführer Kim Jong-un geleitet wurde, beschlossen, die Schulpflicht von 11 auf 12 Jahre zu verlängern. Und dieses zusätzliche Jahr will der kommunistische Staat offenbar nicht für die ideologische Schulung seiner jungen Untertanen verwenden, sondern für das Erlernen fachlicher und technischer Qualifikationen. "Das ist Ausdruck eines Wirtschaftspragmatismus, der unter der neuen Regierung von Kim Jong-un immer deutlicher erkennbar ist", sagt Rüdiger Frank, Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien.

"Die wirtschaftlichen Aktivitäten nehmen zu"

Kim Jong-un hat nach dem Tod seines Vaters Kim Jong-il im Dezember 2011 die Herrschaft in dem international isolierten Staat, der immer wieder mit Hungersnöten zu kämpfen hat, übernommen. Vieles deutet daraufhin, dass der Mann, der ein Schweizer Internat besucht hat, zu einem Reformkurs bereit ist.

Nordkorea-Experte Frank hat das ostasiatische Land im April und September dieses Jahres besucht. Und er berichtet im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" von einer "absoluten Aufbruchsstimmung". So hätte er etwa bei seinem zweiten Besuch im Herbst schon ungefähr vier Mal so viele Verkaufsstände in der Hauptstadt Pjöngjang als noch im Frühling gesehen. "Das bedeutet, es gibt immer mehr Leute, die Waren verkaufen oder kaufen können. Die wirtschaftlichen Aktivitäten nehmen also zu", sagt Frank. Gleichzeitig werden damit aber in der Bevölkerung Erwartungen nach mehr Wohlstand geweckt.

Doch Nordkorea hat für einen nachhaltigen Aufschwung denkbar schwierige Voraussetzungen. Die Diktatur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten abgeschottet, die Industrie ist marode, die Landwirtschaft oft unproduktiv. Die Bauern müssen ihre Ernte an das Militär und staatliche Organisationen abgeben.

Noch ist unklar, zu welchen Reformexperimenten das Regime bereit ist. Ob etwa Agrarbetriebe zukünftig ihre Überschüsse verkaufen dürfen. Oder ob die Arbeiter in kleineren und mittleren Fabriken mehr Geld und weniger Bezugsscheine erhalten.

Nordkorea isoliert sich mit seinem Atomprogramm

Frank zufolge wird entscheidend sein, dass sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie der Hebel angesetzt wird. "Reformen nur in der Landwirtschaft lösen die Probleme nicht, sondern schaffen neue", betont er. Etwa ein Drittel der nordkoreanischen Bevölkerung ist im Agrarsektor beschäftigt. Wenn nun landwirtschaftliche Produkte in den Städten frei verkauft werden dürfen und die Preise steigen, dann müssten gleichzeitig die Löhne in der Industrie erhöht werden.

Ein weiteres Problem für Nordkorea ist seine internationale Isolation. Wegen seines Atomprogramms und seiner Atomwaffentests ist das Land von EU und USA mit Sanktionen belegt. Und damit ist Pjöngjang von vielen internationalen Finanzströmen abgeschnitten.

Es ist aber sehr ungewiss, wie weit Nordkorea hier zu einem Einlenken bereit ist, um vom Westen wirtschaftliches Entgegenkommen zu erhalten. Denn die atomare Drohkulisse wird vom Regime auch als Versicherung des eigenen Überlebens angesehen.