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Normaler Betrieb und abwarten

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Bessere Stimmung, aber kaum Ergebnisse. | Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat recht. Die Stimmung in der EU ist wesentlich besser als noch vor einem Jahr. Tatsächlich ist der Streit um den Finanzrahmen für 2007 bis 2013 endgültig beigelegt. Die drohende Spaltung der EU wegen des zum Grundsatzstreit zwischen einem neoliberalen und einem sozialen Europa hochstilisierten Konflikts um die Dienstleistungsrichtlinie ist beendet. Über zwei Millionen Arbeitsplätze mehr als vor einem Jahr gebe es in Europa, betont Schüssel. Das deckt sich in etwa mit Prognosen der EU-Kommission.


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All das ist auch ohne die Verfassung gelungen. Warum also nicht einfach so weitermachen - zweigleisig: normaler Betrieb und abwarten? Denn es ist ja noch Zeit, scheinen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu denken.

Erst im Jahr 2009 wird es einmal ernst. Dann läuft die Amtsperiode der EU-Kommission von José Manuel Barroso aus. Selbst wenn die Franzosen während ihres Ratsvorsitzes den Nachfolger des Verfassungsvertrags, der in seiner derzeitigen Form tot ist, 2008 fertig bekommen sollten, kann er niemals bis dahin in Kraft treten. Diplomaten rechnen mit einer Umsetzungsfrist von etwa 18 Monaten.

Laut dem derzeit gültigen Vertrag von Nizza muss die Anzahl der Kommissare auf maximal 26 reduziert werden. Mit Bulgarien und Rumänien wären es aber 27. Zumindest ein Land verlöre seinen Vertreter in der Kommission. Wie diese Auswahl zu treffen ist, bleibt völlig unklar.

Spätestens 2009 muss entweder der betreffende Teil der Verfassung verwirklicht sein, der Kommissare nur für zwei Drittel der EU-Länder vorsieht - oder eine andere Regelung gefunden werden. Bis dahin lässt sich durchaus ohne Verfassung leben, auch wenn die Entscheidungsstrukturen "sehr kompliziert" sind, wie Schüssel meinte. Und spätestens vor der nächsten Erweiterung müssen dann die Institutionen endlich reformiert werden. Vor 2010 rechnet Kroatien aber sowieso nicht mehr mit dem Beitritt.

Noch später können die bisherigen Verträge irgendwie zusammengefasst werden, der umstrittene Teil der Verfassung erledigt sich. Einzig der praktische Paketcharakter des Verfassungsansatzes wäre gescheitert.

Schüssel hat recht. Doch seine Rhetorik ist nicht nachvollziehbar. "Ende der Reflexionsphase", die "Phase der konkreten Resultate" bricht an? Die konkreten Erfolge dieser Präsidentschaft gab es schon bei der Dienstleistungsrichtlinie und dem Finanzrahmen. Bewegung in den erstarrten Verfassungsprozess hat aber auch dieser Gipfel nicht gebracht.