Ökonomen schlagen vor, nach Immunität zu fahnden und diese als Ressource einzusetzen.
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Langsam, aber sicher setzt sich die Gewissheit durch, dass die Folgen der Corona-Krise nicht in Wochen, sondern in Monaten und wohl auch in Quartalen zu messen sein werden. Und selbst wenn die unmittelbare gesundheitliche Bedrohung auf ein handhabbares Maß hoffentlich schneller eingedämmt werden kann, droht der wirtschaftliche Einbruch noch sehr viel länger anzuhalten. Zumal aus heutiger Sicht die Schätzungen, um wie viel die Wirtschaftsleistung schrumpfen wird, je nach Szenario irgendwo zwischen 7 und 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen; diese Zahlen vermutet jedenfalls das Ifo-Institut für Deutschland. Für Österreich dürfte die Spannweite des ökonomischen Abgrunds in einer ähnlichen Dimension liegen, obwohl die Industriellenvereinigung derzeit noch mit einer Rezession von lediglich 2,5 Prozent für 2020 rechnet.
So gesehen liegt es auf der Hand, nach Wegen zu fahnden, wie die Folgen der Corona-Krise auf das Allernotwendigste begrenzt werden können. Zeit ist hier ein bestimmender Faktor. Jede Woche, mit der die Volkswirtschaft früher und wenigstens schrittweise wieder in die Gänge kommt, könnte am Ende helfen, Milliarden-Euro-Beträge nicht ausgeben zu müssen.
Einen Weg zu diesem Ziel haben am 21 März drei Ökonomen veröffentlicht: In einem Paper mit dem Titel "Corona-Immunität als entscheidende Ressource: Der Weg zurück in die Normalität" (in: "Beiträge zur aktuellen Wirtschaftspolitik", Ausgabe 2020-03, Center for Research in Economics, Management and the Arts) zeigen David Stadelmann (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth), Reiner Eichenberger (Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg) und Rainer Hegselmann (Professor für Philosophie an der Frankfurt School of Finance & Management) einen neuen Ansatz auf.
Ihre Überlegungen konzentrieren sich auf die Frage, wie die vom Coronavirus gelähmten Volkswirtschaften möglichst schnell wieder in die Gänge kommen können. Die massiven Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zielen zwar auf die Minimierung der Folgen für die Gesundheit, verursachen jedoch zwingend massive ökonomische Kosten. Diesen Zielkonflikt gelte es offen anzusprechen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, so die Autoren.
Mit Zertifikat zurück in die Normalität
Als Hebel für eine schnelle Rückkehr zur Normalität betrachten der gebürtige Vorarlberger Stadelmann und seine Co-Autoren die Corona-Immunen, weshalb "diese Ressource" intensiv gesucht und effektiv eingesetzt werden müsse. Der Vorteil dabei: Mit der Ausbreitung der Krankheit wachse auch die Zahl der Immunen, da in der überwiegenden Zahl der Fälle der Krankheitsverlauf relativ milde ist und eine rasche nochmalige Infektion einmal infizierter Personen nach heutigem Wissensstand relativ unwahrscheinlich sei. Je größer nun die Zahl dieser Corona-Immunen, desto geringer die Gefahr für die besonders gefährdeten Zielgruppen und desto geringer die Belastungen für das Gesundheitssystem. Dabei gehen die die Autoren davon aus, dass die Zahl der Corona-Immunen weit größer ist als derzeit bekannt, weil eben viele Personen infiziert waren und mittlerweile wieder gesundet, aber eben nie getestet wurden.
Diese Immunen sollen wieder zurück in den normalen Alltag entlassen werden, um die Wirtschaft und das soziale Leben langsam wieder in Gang zu bringen, ohne jedoch - und das ist entscheidend - dadurch die schutzbedürftigen Personen zu gefährden. Der möglichst schnelle und umfassende Einsatz der Immunen ist also, so formulieren es die Autoren, "aus volksgesundheitlicher, volkswirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive sinnvoll".
Um dabei jedoch auf Nummer sicher zu gehen, soll es laut Stadelmann, Eichenberger und Hegselmann ein in Kooperation mit den Behörden ausgestellten Immunitätszertifikat in Form von nachgewiesenen Antikörpern als "Passagierschein in die Normalität" geben. Wer über ein solches Zertifikat verfügt, der soll wieder seiner Arbeit und seinem gesellschaftlichen Leben nachgehen können.
Um möglichst viele Immune zu finden, brauche es umfassende Antikörper-Tests: "Es geht darum, dass Genesene helfen können, die Gesellschaft zu retten." Aufgrund der zwar wachsenden, aber immer noch zu geringen Testkapazität empfehlen die Autoren gezielt in den Corona-Hotspots zu suchen. Die Kosten flächendeckender Tests würden zudem durch die Wirtschaftsleistung der Immunen mehr als kompensiert werden. Allerdings raten auch Pharma-Unternehmen wie Roche, nur Personen mit Symptomen zu testen, da für größere Bevölkerungskreise die Testkapazitäten nicht ausreichen würden.
Dass ihr Vorschlag auf Widerspruch stoßen wird, ist den Ökonomen bewusst. Einige Gegenargumente sprechen sie selbst an, etwa jenes, dass durch die Privilegierung der Immunen ein Anreiz geschaffen werde, sich bewusst zu infizieren. Wenn Menschen dieses Risiko eingingen, sei dies jedoch ein Beleg für die Schwere der Krise und ein Hinweis, darauf, schnell einen Ausweg aus der aktuellen Situation zu finden. Klar ist für die Autoren auch, dass das Coronavirus nicht gänzlich besiegt werden könne, vielmehr gehe es darum, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu vermeiden und die ökonomischen Folgen zu minimieren, indem für Immune wieder ein normaler Alltag gilt.
Die gezielte Suche nach Corona-Immunen ist ein spezifisch ökonomischer Ansatz, der darauf abzielt, die Zielkonflikte der derzeit verordneten sozialen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Ausnahmesituation aufzuzeigen und einen konkreten Lösungsvorschlag aufzuzeigen. Es liegt auf der Hand, dass die Politik in der aktuellen Phase ihre ganze Energie auf die Vermeidung massiver gesundheitlicher Folgen richtet; früher oder später wird es jedoch auch um die Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen gehen müssen. Folgt man den genannten Ökonomen, sollte dies eher früher als später erfolgen.
Die zitierte Studie ist im Internet nachzulesen unter: www.crema-research.ch/bawp/2020-07.pdf