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Normalität im Schatten des Kosovo

Von Gernot Grabher

Politik

Am heutigen Mittwoch wählen die Mazedonier ihren dritten Staatschef seit der Unabhängigkeit von Ex-Jugoslawien Ende 1991. Notwendig wurde die Wahl, weil Amtsinhaber Boris Trajkovski am 26. Februar bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückte. Favorit für das Amt ist der derzeitige Ministerpräsident Branko Crvenkovski (42). Die voraussichtlich notwendige Stichwahl findet am 28. April statt.


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Der Kandidat beendet seine Rede, Applaus brandet auf, mazedonische Fahnen werden geschwungen, das offizielle Wahlkampflied dröhnt aus den Boxen. Die Menge zerstreut sich wohlgelaunt im Einkaufszentrum Biser in Skopje, wo Crvenkovski soeben einen seiner letzten Auftritte vor der Wahl absolviert hat. Crvenkovski ist Chef des Sozialdemokratischen Bundes (SDSM), der Nachfolgepartei der Kommunisten.

Sein Auftritt war souverän, staatsmännisch und hat seine Wirkung auf die zahlreichen Zuschauer nicht verfehlt. Allerdings waren ihm diese Stimmen zuvor schon sicher. "Er hat bisher nichts für uns getan, er wird auch in Zukunft nichts für uns tun," meint ein Passant. Trotzdem wird er Crvenkovski wählen, da er den anderen Kandidaten auch nicht mehr zutraut.

Einen Tag später hat Gezim Ostreni (62) seinen letzten Auftritt in der Hauptstadt. Sein Auftritt findet vor dem Nationaltheater statt. Auch hier spielt Musik eine wesentliche Rolle. Ostreni ist einer der zwei Kandidaten der albanischen Volksgemeinschaft, die offiziell ca. 25 Prozent der Bevölkerung stellen. Das erkennt man an der albanischen Musik und an den albanischen Fahnen, die von den Leuten hier begeistert geschwenkt werden.

Die Sprache und die Flaggen - zwei augenscheinliche Symbole für den ethnischen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern, der das Land die letzten Jahre am Rande der Normalität gehalten hat. Die gewaltvollen Unruhen im benachbarten Kosovo vor wenigen Wochen haben das hier schlummernde Gefahrenpotential drastisch vor Augen geführt. Das befürchtete Überschwappen des Konflikts nach Mazedonien ist jedoch ausgeblieben. Ein Zeichen, dass sich die demokratischen Strukturen seit dem Bürgerkrieg 2001 doch gefestigt haben.

Überhaupt scheint der Kosovokonflikt bei diesen Wahlen keine besondere Rolle zu spielen. Ein Grund mag in der Favoritenrolle Crvenkovskis liegen. Da er in Meinungsumfragen weit vorne liegt, kritisierten die albanischen Medien hauptsächlich die bisherige Regierungsarbeit, anstatt die albanischen Kandidaten zu unterstützen. Ostreni ist ein Vertreter der an der Regierung beteiligten Demokratischen Union für Integration (DUI) und sieht folglich in der Aussöhnung der beiden Volksgruppen die einzige Chance.

Der wenig bekannte Zudi Xhelili (43) von der demokratischen Partei der Albaner (PDS) wettert hingegen, dass die Regierung bisher zu wenig für die Albaner getan hätte. Einer Fernsehdiskussion mit den anderen Kandidaten wollte er nur unter der Auflage zustimmen, dass er auf albanisch sprechen dürfe und ihm ein Dolmetscher zur Seite gestellt werde. Dies zeigt, welch langer Weg zur Entwicklung eines gemeinsamen staatlichen Bewusstseins noch vor dieser jungen Nation liegt.

Als wichtigster Herausforderer von Crvenkovski gilt Sasko Kedev (42) von der slawisch-nationalistischen Oppositionspartei VMRO-DPMNE. Der Herzchirurg mit erst zweijähriger politischer Erfahrung war ein unbeschriebenes Blatt, der sich im Wahlkampf jedoch vor allem als aggressiver Kritiker Crvenkovskis profilieren konnte. Am Beginn seiner Kampagne verkündete er: "Ich habe ehrlich keine Erfahrung darin, die Wirtschaft zu zerstören und falsche Versprechungen zu geben, aber ich habe Erfahrung darin, die Probleme der Menschen zu lösen." Es sollte ihm gelingen, die Stichwahl am 28. April zu erreichen. Vor allem, da seine Kritik an der Regierungsarbeit von der Mehrheit geteilt wird. Allgemein wird vermutet, dass dieser vor den Problemen ins bequemere Präsidentenamt flüchten will.

Solche Kritik lässt den Taktiker Crvenkovski jedoch kalt. Er scharte gleich sechs seiner Minister in seinem Wahlkampfteam um sich, was zur Kritik führte, dass auf diese Weise die Regierungsarbeit zugunsten seiner persönlichen Machtinteressen in den Hintergrund rücke. Tatsächlich dürfte im Fall von Crvenkovskis Wahl ein Kampf um das Amt des Premierministers ausbrechen, der die Regierungsarbeit noch länger behindern könnte.

Neben dem ethnischen Konflikt bestehen die Herausforderungen vor allem in der mangelnden Rechtssicherheit, der hohen Arbeitslosigkeit, der Korruption und der daraus resultierenden schwachen Wirtschaftsleistung. Bei all diesen Problemen ist der Premier mehr gefordert als der Präsident. Dass die Wahlbeteiligung trotzdem höher ausfallen wird als ursprünglich befürchtet, liegt am verunglückten Boris Trajkovski. Auch er war nicht sehr beliebt. Die positiven internationalen Nachrufe haben jedoch den Mazedoniern vor Augen geführt, dass er vielleicht mehr erreicht hatte, als sie ihm zugestehen wollten.

Für die staatliche Einheit sind jedoch neben dem Wahlkampf zwei andere Ereignisse von Bedeutung. Von einer zivilen Organisation wurde vor wenigen Wochen die "Say Macedonia"-Kampagne gestartet, die Unterschriften gegen den von außen verordneten Staatsnamen "Former Yugoslav Republic of Macedonia" (FYROM) sammelte. Vladimir Milcin, der Direktor der Open Society Foundation in Mazedonien, sieht hierin ein Zeichen für die Wichtigkeit von Integration, "nicht nur von Mazedonien in Europa, sondern auch von innerer Integration".

Ein weiterer Schritt zur inneren Integration könnte am Abend des Eurovision-Songcontests vollzogen werden. Der mazedonische Vertreter Tose gilt bei der mazedonischen und albanischen Volksgruppe nicht nur als bester Sänger Mazedoniens, sondern des gesamten Balkans. Ein Erfolg Toses könnte einige Risse und Wunden, die dieses junge Land in den vergangenen Jahren erlitten hat, kitten.

Für Mazedonien stellt die ordnungsgemäße Durchführung der Präsidentenwahlen einen weiteren Schritt in die Normalität dar. Der Erfolg des Landes wird aber an der wirtschaftlichen Front entschieden werden. Nur wenn die ökonomischen Probleme gelöst werden können, wird das Experiment Mazedonien gelingen. Als zusätzliches Damoklesschwert schwebt die Kosovofrage über der gesamten Region. Der - vermutlich organisierte - Gewaltausbruch der vergangenen Wochen sollte hierfür als Warnung dienen.

Mag. Gernot Grabher ist Lektor an der Universität Skopje