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Norman Finkelstein in Wien

Von Verena Schmitt-Roschmann

Politik

Berlin - Der amerikanische Politologe Norman Finkelstein, dessen Eltern den NS-Massenmord überlebt haben, hat in Berlin die deutsche Ausgabe seines Buches "Holocaust-Industrie" vorgestellt und mit seinen darin vertretenen Thesen eine heftige Kontroverse ausgelöst. Seine Kernbotschaft: "Der Holocaust-Industrie müsse das Handwerk gelegt werden, da sie maßgeblich dazu beitrage, den Antisemitismus zu schüren."


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An diesem Freitag wird Finkelstein sein Buch in Wien vorstellen - um 19.30 Uhr im Kaufhaus Steffl in der Kärnterstraße.

In Berlin stieß die Präsentation seinen Buches auf großes Interesse, der Saal im Berliner Presseclub war bis auf den letzten Platz gefüllt. In den Vereinigten Staaten hätte bei der Vorstellung des englischen Originals vergangenen Sommer "eine Telefonzelle ausgereicht, und es wäre noch eine Menge Platz übrig gewesen", sagte Finkelstein. Seine Grundthese ist, dass große jüdische Organisationen wie der World Jewish Congress oder der Jewish Claims Conference (JCC) den Massenmord an Juden im Nachhinein rücksichtslos ausbeuteten und damit gute Geschäfte machen würden. Das "kolossale Verbrechen" des Holocausts werde von einer kleinen jüdischen Elite zur "Erpressung" immer neuer Entschädigungszahlungen genutzt, so der Autor. Jede Diskussion werde im Keim erstickt, der NS-Massenmord damit letztlich mythologisiert und der Wirklichkeit entrückt. Das alles gehe auf Kosten der Opfer und ihrer Würde.

Die deutsche Geschichte der Holocaust-Aufarbeitung wischte der Historiker bei der Podiumsdebatte in Berlin vom Tisch. Es dürfe keine unterschiedlichen moralischen Standards für "Deutsche und Nicht-Deutsche" geben. "Jeder Staat hat Verbrechen begangen, die er büßen muss", sagte Finkelstein und nannte Verbrechen von Amerikanern an Indianern, an schwarzen Sklaven, an Vietnamesen.

Ob er mit seinen Vergleichen nicht den Holocaust relativiere, wird er gefragt. Vergleichen sei das Einmaleins des Historikers, doziert Finkelstein. Das Verbot von Vergleichen sei der Ausgangspunkt der "Holocaust-Industrie". Die Möglichkeit eines Beifalls deutscher Rechtsextremer sorge ihn, deshalb sein "moralisches Ziel" aufgeben wolle er aber nicht.

Wie kontroversiell seine Thesen sind, zeigen die Tumulte zwischen Kritikern und Anhängern während der Podiumsdiskussion in Berlin. Einige Teilnehmer riefen auch rechtsgerichtete Parolen.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, übt scharfe Kritik an Finkelsteins Buch. Jüdische Organisationen würden darin "in Bausch und Bogen" veurteilt. Dessen Behauptungen entsprächen nicht den Tatsachen, zudem sei es "schludrig geschrieben". Der US-Geschichtsprofessor Peter Novick sprach von einem "Schund" voller Fehler. Viele Kritiker werfen Finkelstein vor, lediglich eine persönliche Abrechnung zu führen. Der Südwestrundfunk (SWR) hatte eine TV-Dokumentation über das umstrittene Buch kurzfristig aus dem Programm genommen.