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Not und Elend von Sanktionen

Von Nikolaus Lehner

Gastkommentare

Wie weit soll und darf die Verurteilung des russischen Krieges gehen, wenn es um Boykotts geht?


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Sanktionen definieren sich dadurch, dass ein gestörter Rechtsfrieden durch geeignete Maßnahmen wiederhergestellt werden und dies auch eine generalpräventive Wirkung entfalten soll. Bereits im antiken Griechenland wehrte sich Athen gegen das militärisch überlegene Sparta mittels Handelssperre, die allen Städten galt, die für Trabanten Spartas gehalten wurden. Die bekannteste Sanktion der Neuzeit ist wohl die Kontinentalsperre, mit der Napoleon England von Europa wirtschaftlich abschotten wollte. Dies führte allerdings zu einer Selbstschädigung Frankreichs sowie zu erfolgreichen Handelsbeziehun-gen Englands mit dem Rest der Welt, wodurch Napoleons Sanktionen ins Leere liefen.

Hingegen trafen die Sanktionen der Alliierten gegen die Mittelmächte im Ersten und gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft und waren, weil kriegsentscheidend, erfolgreich. Die seither verhängten Sanktionen des Westens gegen Staaten wie den Iran oder Nordkorea wiederum verfehlen durch Einschaltung von Drittstaaten oftmals ihre Wirkung. Mit den Normen des Völkerrechts allein, die sich leider nur allzu oft als wirkungslos erweisen, ist all dem nicht beizukommen. Das beginnt schon mit dem "Webfehler" der Vereinten Nationen, dass einem ständigen Mitglied des Sicherheitsrates als Aggressor nicht legitim beizukommen ist.

Faktum ist: Russland hat die Ukraine überfallen, und der Westen versucht, dieser vor allem mit wirtschaftlichen Sanktionen zu helfen. Politische Sanktionen im Sinne einer die Aggression verurteilenden Resolution des UN-Sicherheitsrats scheiden aus, und ein direktes militärisches Eingreifen des Westens ist auch (noch?) keine Option. Bei den Wirtschaftssanktionen sind allerdings bisher keine erheblichen Erfolge gegen Russland festzumachen. Im Hinblick auf die dortige Diktatur ist davon auszugehen, dass sie nur dann zu einem Erfolg führen könnten, wenn sie sofort und vollständig und von einer Mehrheit der Staaten umgesetzt werden. Ihre Effektivität kann nur daran gemessen werden, dass sie für den Aggressor entscheidend - im Sinne eines nicht mehr zu negierenden Drucks - spürbar werden. Davon ist man aber weit entfernt.

Problematische Sanktionen im Kunst- und Kulturbereich

Der Diskurs im Westen über die Sanktionsfrage hat sich seit dem 24. Februar immer mehr verdichtet und vor allem die Kunst und Kultur als vergleichsweise neues Wirkungsfeld entdeckt. Dem wohnt eine grundlegende Problematik inne, wenn nicht nur lebende, sondern sogar verstorbene Künstler zum Gegenstand von Sanktionen werden sollen. Die Forderung, einen Tschaikowsky, Puschkin, Tolstoi oder Dostojewski vom Programm abzusetzen, sagt viel über die Intelligenz jener aus, die sie laut aussprechen.

In liberalen Demokratien mit offenen Gesellschaften wird der Kultur eine große Attraktivität zugeschrieben, mit völkerverbindender Wirkung von Kunst und Musik. Allerdings werden Kulturereignisse gesponsert, und das verschafft dem Sponsor einen Werbeauftritt. Dies ist das Ergebnis einer staatlichen Kulturpolitik, die die öffentliche Finanzierung im Laufe der Jahrzehnte immer weiter zurückgefahren hat. Das Problem wäre leicht zu lösen, indem man die öffentliche Finanzierung angemessen erhöht. Die bedeutende gesellschaftliche Reputation der Kultur produziert ein Umfeld, in dem sich Geschäftsbeziehun-gen anbahnen und zugleich auch verschleiern lassen.

Das Problem ist ein internationales. In einem prominenten Ort in der Schweiz schmückte sich bei einem glamourösen Event ein Sponsor, in dessen Herkunftsland Unschuldige gefoltert werden, mit landestypischen Spezialitäten aus der Luxusklasse. Und nicht nur für die Tate Modern in London wurden Spendengelder aus Katar überwiesen, sondern auch bei der Albertina in Wien spielten Spendengelder aus Moskau eine große Rolle für Renovierungsarbeiten; auch die ethischen Richtlinien des Internationalen Museumsrats Icom sind in permanentem Diskurs.

Und zwei bekannte Künstler versuchten, die Salzburger Festspiele vorerst diskret zu sensibilisieren, dass ein Sponsor, der die Aufführung des "Reigen" finanziell ermöglichen soll, aufgrund einer ihm nachgesagten Kreml-Nähe und Korruption vielleicht nicht ganz so geeignet sein könnte. Da sich die Festspiele von diesem Sponsor vertrösten ließen, wandten sich die beiden Künstler an die Medien. Es muss eine Frage der Haltung und der Moral sein, die Beeinflussung der Kultur auf diese Weise abzulehnen, denn sonst würden wir uns nicht von einer Diktatur unterscheiden.

Ein toxischer Bekenntniszwang

Der starke Bekenntniszwang, unter den auch in Österreich alle Künstler russischer Herkunft gestellt werden, ist toxisch, wenn man bedenkt, wie sehr wir bisher durch den günstigen russischen Gas- und Ölpreis profitiert haben. Der Direktor der Wiener Staatsoper registriert ganz richtig, dass in der Klassikszene alte Rechnungen beglichen werden, die nichts mit den Opfern des Krieges zu tun haben. So soll Anna Netrebko wieder auftreten dürfen, weil sie im Unterschied zu Valery Gergiev den Krieg in der Ukraine klar verurteilt hat und dafür sofort von ihrem früheren Gönner Wladimir Putin pönalisiert wurde. Vorbildlich hat der Organisator einer österreichischen Kunstmesse agiert, indem er russische Galerien, nicht jedoch russische Künstler ausgeladen hat. Warum sollen wir Kunstbegeisterte, also nicht nur Kulturbeflissene, wegen des Kriegsverbrechers Putin auf russische Kunst verzichten müssen?

Auch in dieser Beziehung dürfen wir in einem Rechtsstaat leben, nicht wie in Russland, wo der Diktator die berühmte Tretjakow-Galerie schließen ließ, die einen Künstler, der nicht nur in Moskau, sondern auch in New York lebt, ausstellen wollte. In Wien sollte der gefeierte Dirigent Teodor Currentzis mit seinem Ensemble Musica Aeterna ein Solidaritätskonzert für die Ukraine geben, was eigentlich schon Anerkennung des westlichen Narrativs genug sein müsste. Aber nein, weil das Ensemble weiterhin von einer russischen Bank gesponsert wird, musste das Konzert abgesagt werden.

Da Putin sich auch auf seine Verbindungen zu Oligarchen stützt, die durch Korruption nicht nur wirtschaftlichen Druck, sondern auch politische Macht ausüben, ist deren rückhaltlose Sanktionierung durch den Westen unbedingt notwendig. In der USA steht der Begriff des Oligarchen seit Jahrhunderten für einflussreiche Unternehmer, die auch vom Diskurs her wesentliche Entscheidungsträger bei Wahlen sind, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Das Vorhaben der US-Regierung, beschlagnahmte Vermögen russischer Oligarchen nicht nur einzufrieren, sondern auch zu verwerten und den Erlös zur Gänze dem Wiederaufbau in der Ukraine zu widmen, ist zu begrüßen - allerdings nur nach juristischen Verfahren, in denen nachzuweisen ist, dass diese Vermögen tatsächlich aus Korruption stammt. Allein in der Schweiz wurden mehr als 3.100 Unternehmen einer Vermögenssperre unterzogen - interessant wäre eine diesbezügliche Statistik für Österreich.

Vor allem jene Oligarchen, die das Sponsoring in der Kunst und Kultur sowie im Sport zum einen aus Eitelkeit, zum anderen als Promotion für ein Produkt verwenden, wurden von den Sanktionen bisher nur zum Teil betroffen. Die meisten Staaten warten zu lange mit dem Vollzug der Beschlagnahmung von Vermögenswerten zu, bis diese, paradigmatisch die Jachten, in einen sicheren Hafen gebracht und andere Vermögenswerte durch geschickte Transaktionen verschleiert werden konnten. Der damit einhergehende Reputationstransfer wird die Kunst noch teuer zu stehen kommen. Lassen wir nicht zu, dass die Kultur von der Politik instrumentalisiert wird.