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Noten gegen Nöte

Von Gerhard Stadler

Reflexionen
Beethovens Handschrift im rekonstruierten Zusammenhang: "Quittung über 750 Gulden W(iener) (W)ährung sage 750 Gulden W(iener) W(ährung), welche Endes gefertigter an seinen von S(eine)r kaiserlichen Hoheit, dem durchlauchtigsten Erzherzog Rudolph gnädigst bewilligten Gehalt und zwar von 1ten September bis lezten Februar 1815 laufenden Jahres aus der Hauptkassa richtig empfangen zu haben anmit quittirt. Wien, am 30ten März 1815. Ludwig van Beethoven." (Originalworte kursiv)
© Dorotheum

In der Wiener Klassik war es für Komponisten schwer, von ihren Werken zu leben - selbst für Ludwig van Beethoven.


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Im Wiener Dorotheum wurde Ende 2020 ein 22 x 14 Zentimeter großes Papierfragment angeboten und um 10.000 Euro ersteigert. Der Experte hatte es anhand eines Vergleichsstückes im Beethoven-Haus Bonn als Autograph von Ludwig van Beethoven bestimmen und vervollständigen können: keine Musiknoten, sondern eine Quittung über den Erhalt einer Rente (siehe Abbildung oben).

Es ist ein wichtiges Zeugnis über die finanziellen Umstände der Komponisten der Wiener Klassik. Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven lebten in unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu einer Zeit ohne urheberrechtlichen Schutz; auch das Verlagsrecht war am europäischen Kontinent erst rudimentär vorhanden. Der finanzielle Ertrag aus einer Komposition und ihren Aufführungen konnte kaum gesichert werden. Dazu kam noch die große Bedeutung der Kopisten, die die originären Noten abschrieben, dabei oft Fehler machten oder nicht selten auf eigene Rechnung weitergaben.

Joseph Haydn, 1791 gemalt von Thomas Hardy.
© Public domain / via Wikimedia Commons / Thomas Hardy

Nur Joseph Haydn konnte dreißig Jahre frei von finanziellen Sorgen komponieren. Paul II. Anton Fürst von Esterházy verlangte nach dem Dienstvertrag von 1761 für 400 Gulden Jahresgehalt (plus Kostgeld und Logis) nicht nur täglich Divertimenti für ihn als Solisten zu liefern, sondern auch regelmäßig Symphonien zu schreiben und die Verantwortung für die nahezu täglichen Auftritte der Hofkapelle, inklusive Dirigate, zu übernehmen. Dazu kamen in den Jahren im neuen Schloss in Esterháza (heute Fertöd beim Neusiedler See) mit einem - später abgebrannten - Opernhaus auch Komposition bzw. Einstudieren mehraktiger Opern; allein 1786 gab es 125 Aufführungen. Es war Fronarbeit, doch der Fürst war zufrieden und mehrmals gewährte er Sondergratifikationen über das vertragliche Gehalt hinaus.

Schwierige Jahre

1790 endete mit dem Tod von Fürst Nikolaus die Pracht. Die Kassen waren leer, sein Nachfolger kündigte Hofkapelle und Haydn - erst danach konnte dieser frei komponieren und reisen. Nach seinen triumphalen Erfolgen in London wurde der wohlhabend gewordene Haydn zwar wieder als Hofkapellmeister angestellt, doch seine vertraglichen Verpflichtungen waren wesentlich reduziert. Die Ära der Hofkapellen, die vielen Musikern ein finanzielles Auskommen gebracht hatten, ging zu Ende.

Wegen der häufigen Kriege war die Lage selbst am Kaiserhof nicht besser. Die deutsche Operntruppe am Kärntnerthor-Theater endete 1787, und Joseph II. kündigte an, 1788 auch die italienische Operntruppe zu entlassen, womit der Lebensunterhalt von mehr als 100 Personen gefährdet war.

Doch der gewiefte Höfling Lorenzo Da Ponte, 1783 von Joseph II. zum Poeten des italienischen Theaters ernannt, fand einen Ausweg, der die Truppe (und seine eigene Funktion) rettete, den der "Subskription": Er kontaktierte am Fortbestand des Opernensembles interessierte Adelige und diese übertrugen einem von ihnen zusammen 100.000 Dukaten; die Gegenleistung war vermutlich der freie Besuch von Vorstellungen.

Es gelang. Mit Einsparungen konnten die Aufführungen fortgesetzt, neue Inszenierungen gestartet und die berühmtesten Sängerinnen nach Wien geholt werden. Wolfgang Amadeus Mozart war durch seine Verbindung mit Da Ponte als Librettist einer der Profiteure dieses Coups. Mit dem Tod Josephs II. 1790 brach das System zusammen, Da Ponte musste nach Intrigen der Hofkamarilla emigrieren.

Bekanntlich war Mozart seit seiner Jugend auf der Suche nach einer Anstellung wenig erfolgreich. Er musste sich von einem Komponierauftrag zum nächsten finanziell durchkämpfen. Dank seiner Frohnatur und der sein musikalisches Genie ergänzenden Begabung, auch lange Kompositionen bereits im Kopf fertig zu haben und rasch in Noten zu übertragen, scheint ihn die pekuniäre Seite weniger belastet zu haben.

Erstausgabe von Mozarts Klavierquartett (KV 493), 1787 von Artaria herausgegeben.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Ab 1770 entstanden die ersten Musikverlage: Schott und Simrock in Mainz, Artaria am Wiener Kohlmarkt. Sie kauften Komponisten die Partituren ab und damit die Urheberschaft. Trafen sie eine gute Wahl, wurden sie reich - es gab ja keine Tantiemen je Aufführung. Wie häufig bei neuen Rechtsgebieten, die finanzielle Vorteile bringen oder Persönlichkeitsrechte beschränken, folgte eine Flut von Prozessen.

Musikunterricht zu erteilen, konnte ein gutes Einkommen bringen - etwa soll Mozart nach seiner Übersiedlung nach Wien mit Klavierstunden monatlich 70 Gulden (was dem Lohn eines Krankenhausarztes entsprach) erreicht haben. Doch Unterrichten war zeit- und nervenaufreibend und vom Komponieren weit entfernt; während der Sommermonate war es oft mit langen Fahrten zu den Schlössern des Adels verbunden. Kost und Logis gab es zwar, doch auch Sorgen: Franz Schubert soll sich im Schloss Želiezovce der Esterházys in der heutigen Slowakei venerisch angesteckt haben, was zu seinem frühen Tod beigetragen haben mag. Beethoven wieder war öfters im Schloss Dolná Krupá nördlich von Preßburg und komponierte dort die Mondscheinsonate - aber eine Angebetete soll unerreichbar gewesen sein.

Jagd nach Aufträgen

Ludwig van Beethoven 1804/1805, porträtiert von Joseph Willibrord Mähler.
© Sammlung Wien Museum / CC BY 3.0 AT / https://creativecommons.org/licenses/by/3.0 / Birgit und Peter Kainz / via Wikimedia Commons

Beethovens finanzielle Situation war komplex. Wir sind über sie dank seiner Briefe, der Gesprächshefte im Verlauf der Taubheit und rechtlicher Dokumente gut informiert. Obwohl sparsam, war er oft in Geldnöten: durch hohe Ausgaben für Logis wegen seiner häufigen Wohnungswechsel, Aufwand für Ärzte und Kuraufenthalte, Probleme mit seinem Neffen Johann, dessen Vormund er war, mit den Verlegern, Prozesse.

1792 war er nach Wien gekommen, mit der Zusage von Fürsterzbischof Maximilian, dem jüngsten Sohn Maria Theresias, sein Bonner Salär von 500 Gulden weiter zu erhalten. Doch bald muss Maximilian, nach der Französischen Revolution nach Wien geflohen, seine Zahlungen einstellen. Nun lebt Beethoven nur vom Ertrag von Subskriptionen seiner Werke, von diskreten Zuwendungen für Widmungen, Honoraren für Hauskonzerte und Einladungen auf Schlösser von Adeligen.

Beethoven ist ein langsamer und penibler Arbeiter, viele Varianten notierend, bis er mit einer das Werk abschließt. Die ersten größeren Kompositionen entstehen, sein Name wird bekannt und die Zahl der Subskribenten für den Verkauf neuer Kompositionen steigt, er kann Verlagsverträge abschließen. Auftraggeber sind ihm weniger lieb als Mäzene, da diese ihm keine Vorgaben für die Kompositionen machen.

Um 1803 lernt Beethoven Erzherzog Rudolph kennen, den 1788 geborenen jüngsten Bruder von Kaiser Franz. Er wird Lehrer des bereits versierten Klaviervirtuosen, und bei allen Standesunterschieden kommt es mit ihm als Einzigem zu einem fast freundschaftlichen Verhältnis. Es entstehen die "Eroica" und "Fidelio", das "Tripelkonzert" mit einem für Rudolph spielbaren Klavierpart.

Als Beethoven im Herbst 1808 ein Angebot von König Jérôme von Westfalen erhält, als Kapellmeister mit einem hohen Gehalt nach Kassel zu kommen, will er zusagen, trotz lockerer Sitten an jenem Hof und der unsicheren Zeiten. Um ihn zu halten, finden sich auf Initiative von Rudolph einige vermögende Adelige, die dem Schicksal Beethovens eine Wendung und der Welt die Vollendung eines Genies geben werden. Im Februar 1809 kann Rudolph ein "Dekret" erlassen:

Erzherzog Rudolph, verewigt in einer Büste in Bad Ischl.
© Gerhard Stadler

"Die täglichen Beweise welcher Herr Ludwig van Beethoven von seinen ausserordentlichen Talente[n] und Genie, als Tonkünstler und Compositeur giebt, erregen den Wunsch, daß er die grösten Erwartungen übertreffe, wozu man durch die bisher gemachte Erfahrung berechtiget ist. Da es aber erwiesen ist, daß nur ein so viel [als] möglich sorgenfreyer Mensch, sich einem Fache allein widmen könne, und diese, vor allen übrigen Beschäftigungen ausschlüssliche Verwendung, allein im Stande sei, grosse, erhabene, und die Kunst veredelnde Werke zu erzeugen; so haben Unterzeichnete den Entschluß gefaßt, Herrn Ludwig van Beethoven in den Stand zu setzen, daß die nothwendigsten Bedürfnüsse ihn in keine Verlegenheit bringen und sein kraftvolles Genie dämmen sollen.

Demnach verbinden sie sich ihm die bestimmte Summe von 4000 f jährlich auszuzahlen, und zwar. Se. Kais. Hochheit der Erzherzog Rudolph f 1500, Der Hochgebohrene Fürst Lobkowitz f 700, Der Hochgebohrene Fürst Ferdinand von Kinsky f 1800.

Zusammen f 4000.- welche Herr Ludwig van Beethoven in halbjährigen Raten bei jeden dieser hohen Theilnehmern nach Maasgabe des Betrags gegen Quittung erheben kann."

Bedingung für die lebenslange Rente (für die 4.000 Gulden könnte man heute 100.000 Euro ansetzen) ist nur die dauernde Ortsansässigkeit "in Wien (...) oder einer anderen in deren Erbländern Sr oesterreichisch kaiserlichen Majestät liegenden Stadt". Sonst ist keine Gegenleistung vorgesehen.

Empfindliche Verluste

Beethoven zeigt sich dieses Vertrauens würdig. Trotz seiner Taubheit folgen seine schaffensreichsten Jahre. Er widmet seinen Mäzenen zahlreiche Werke und beginnt 1818 ohne Auftrag mit der Komposition einer "Missa Solemnis", die zur Inthronisation von Erzherzog Rudolph als Fürsterzbischof von Olmütz 1819 aufgeführt werden soll - doch diese von Beethoven als sein Meisterwerk bezeichnete Partitur kann er Rudolph erst 1823 übergeben.

Aber der Vertrag brachte auch Enttäuschungen und Schmälerungen: Die hohen Kosten der Kriege gegen Napoleon und die Kontributionen nach den Niederlagen führten 1811 und 1816 zu Staatsbankrotten, nach denen Finanzpatente den Wert des Guldens auf etwa 40 Prozent reduzierten. Eine Stabilisierung der Währung gelang erst 1816 mit der Gründung der Oesterreichischen Nationalbank; Beethoven war übrigens einer der ersten privaten Aktionäre.

1811 wurde Fürst Lobkowitz kuratiert und seine Zahlungen wurden eingestellt, 1812 starb Fürst Kinsky - einzig Erzherzog Rudolph dürfte seinen Beitrag bis zu Beethovens Lebensende 1827 voll bezahlt haben. Die im Dorotheum versteigerte Quittung ist ein Hinweis darauf; Rudolph war  nicht nur der Entdecker von Ischl als Kurort, sondern auch mit der Gründung der Witkowitzer Eisen- und Kohlewerke in Mähren wirtschaftlich sehr erfolgreich.

Der erste Komponist, bei dem Reichtum dem Ruhm folgte, war Gioachino Rossini, nach drei Dutzend komischer Opern. 1895 wurde das Urheberrecht für Werke der Musik und der Literatur in Österreich kodifiziert, verbunden mit internationalen Abkommen und der Gründung von Verwertungsgesellschaften, 1897 für Österreich die der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM).

Gerhard Stadler, geboren 1947, ist als Reiseschriftsteller und "rot-weiß-roter Spurensucher" tätig.