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Notkredite über 110 Milliarden Euro sollen Griechenland retten

Von Wolfgang Tucek aus Brüssel

Europaarchiv

Eurofinanzminister beschließen Hilfspaket zur Stabilisierung der Währung. | Euroländer übernehmen 80 Milliarden Euro, erste Tranche kommt vor 19. Mai. | Pröll: Wenn Griechenland Auflagen nicht strikt erfüllt, "drücken wir die Stopptaste." | EU-Ratspräsident Herman van Rompuy beruft Sondergipfel der Eurozone am Freitag, 7. Mai ein. | Brüssel. Mit einem Hilfspaket über 110 Milliarden Euro wollen die Eurofinanzminister Griechenland retten und die Gemeinschaftswährung stabilisieren. Das beschlossen sie bei einem Sondertreffen am Sonntag endgültig, nachdem die Griechen am Morgen versprochen hatten, über die | nächsten drei Jahre noch einmal zusätzlich 30 Milliarden Euro einzusparen. | Analyse: Euro-Operation am offenen Herzen | Kommentar: Europa, reloaded | Griechenlands Sparpaket ist geschnürt | Details zu Griechenlands Sparprogramm | Taverne und Urlaub adieu | Dossier: Griechenland und die Euro-Krise


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Über die Griechenland-Rettung und die Zukunft des Euro berichten Wolfgang Tucek (Brüssel) Reinhard Göweil (Wien), Hermann Sileitsch (Wien) und Birgit Riezinger (Online).

Die Notkredite für das finanziell am Abgrund stehende Land

sollen im Umfang von 80 Milliarden Euro aus den Ländern der Eurozone kommen, 30 Milliarden soll der Internationale Währungsfonds (IWF) zur Verfügung stellen. Das erklärte der Luxemburger Premier und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker am Abend. Das Milliardenpaket sei "schmerzhaft für die Griechen, notwendig für Europa und sinnvoll für

Österreich", meinte der österreichische Finanzminister Josef Pröll. Ziel des Hilfsplans sei es, Griechenland von der Notwendigkeit zu befreien, sich an den internationalen Finanzmärkten zu refinanzieren, erklärte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Denn trotz wiederholter

Hilfszusagen waren die Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen in astronomische Höhen geschnellt.

Die Lastenverteilung auf die Euroländer erfolgt wie gehabt nach dem Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank (EZB). Für Österreich mache das über drei Jahre maximal 2,29 Milliarden Euro aus, sagte Pröll. Denn frühere Hilfsaktionen des IWF - etwa in Ungarn - hätten gezeigt, dass am Ende oft nicht der gesamte Betrag abgerufen werde. Noch heuer sollen bis zu 45 Milliarden fließen, davon 30 von der Eurogruppe; der österreichische Anteil beträgt gut 850 Millionen Euro. Dafür reicht auch das bereits beschlossene Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz, das dem Finanzminister einen Rahmen von bis zu zwei Milliarden Euro an Hilfskrediten einräumt. Eine Änderung des Gesetzes sei nur nötig, wenn die Griechen ihren Rahmen in den Folgejahren voll ausschöpften, so Pröll.

Kein "Tarnen, Tricksen und Täuschen" mehr

Er machte klar, dass es mit dem "Tarnen, Tricksen und Täuschen" der Griechen zu Ende sein müsse. Athen müsse seine Sparvorhaben auf Punkt und Beistrich erfüllen; die Hilfskredite würden stets nur Zug um Zug freigegeben. Die erste Tranche soll laut den Beschlüssen der Minister noch vor dem 19. Mai freigegeben werden. An diesem Tag benötigt Griechenland 8,5 Milliarden Euro für die Tilgung fälliger Schulden. Der Sparfahrplan der Griechen werde dann quartalsmäßig strikt überwacht, so Pröll. Bei Verzug werde die Stopptaste für die Auszahlung der Hilfen gedrückt. Das sei kein neuer Mechanismus, sondern vom IWF bereits vielfach erprobt. Neu sei lediglich, dass die Eurozone diesmal involviert sei.

Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Griechen ihr drakonisches Sparprogramm nicht einhalten werden können, gebe es keine Alternative zu den Notkrediten, betonte der österreichische Vizekanzler: "Einen zweiten Testlauf wie Lehman auf Staatenebene können wir uns nicht leisten." - Die Pleite der US-Bank hatte im Herbst 2008 durch einen verheerenden Dominoeffekt die weltweite Finanzkrise ausgelöst. Auch Schäuble erklärte, dass die Finanzmärkte die Wette auf die Pleite eines Eurolandes nicht gewinnen dürften. "Das wäre der größte anzunehmende Unfall mit Folgewirkungen auf weitere Staaten." Das Programm beruhe zudem auf den realistischen Annahmen, dass die griechische Wirtschaftsleistung heuer um vier Prozent und auch nächstes Jahr zurückgehen werde, so Schäuble. Die Fähigkeit der Griechen zur Rückzahlung der Notkredite an Euroländer und IWF sei ebenfalls berücksichtigt worden, sagte Pröll.

Eurozonen-Gipfel am Freitag ohne Risikopatient Großbritannien

Er betonte auch, dass es keinen österreichischen Alleingang bei den Hilfskrediten geben könne. Wirtschaftskommissar Olli Rehn erklärte, alle Eurozonenländer würden sich an der Hilfsaktion beteiligen. Noch unklar bleibe freilich, wie Portugal die Mittel für die Griechen aufstellen sollen, hieß es unter vorgehaltener Hand. Mit der Entscheidung der Finanzminister sei das Paket de facto beschlossen, hieß es in Diplomatenkreisen. Dennoch berief EU-Ratspräsident Herman van Rompuy die Staats- und Regierungschefs der

Eurozone für Freitag, 7. Mai, zu einem Abendessen ein.

Sollten die Märkte auf den Beschluss der Finanzminister nicht wie erhofft reagieren, käme diesem Treffen besondere Bedeutung zu. Brisant könnte vor allem sein, dass Großbritannien als Nicht-Euroland gar nicht erst eingeladen

ist. Denn die Briten wählen am Donnerstag und in dem Fall, dass keine der antretenden Parteien die ausreichende Mehrheit für eine Regierungsbildung hat, könnte das Vereinigte Königreich das nächste Ziel der Spekulanten werden. Diese Möglichkeit erhielt durch das gute

Abschneiden des liberalen Kandidaten Nick Clegg bei den TV-Debatten mit dem amtierenden Premierminister und Vorsitzenden der Labour-Party, Gordon Brown, sowie Tory-Chef David Cameron zusätzlichen Zündstoff. Clegg könnte durch sein erfolgreiches Abschneiden eine entsprechende

Mehrheit einer der seit rund 90 Jahren wegen des Mehrheitswahlrechts herrschenden Parteien gefährden.

Doch im Kreise der Eurofinanzminister gab man sich ob des bevorstehenden Eurozonengipfels noch zurückhaltend: Neben einer Bestandsaufnahme der Umsetzung der Hilfsmaßnahmen für Griechenland in den nationalen Parlamenten solle es dann vor allem darum gehen, erste Lehren aus der Krise zu ziehen, erläuterte Schäuble. In diesem Zusammenhang hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut harte Maßnahmen wie den Entzug des Stimmrechtes gegen notorische Defizitsünder verlangt.