Nach dem Aufnahmestopp in Traiskirchen hält die Innenministerin an der Neustrukturierung des Asylwesens fest.
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Wien/München. Notfalls sind es eben Zelte. Ob es so weit kommt, dass Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ihre Drohung wahr macht und Asylsuchende tatsächlich in Zelten unterbringt, wird von der Entwicklung am Wochenende abhängen. Noch reicht es laut Innenressort aus, die nach dem Aufnahmestopp in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen vergangene Woche ankommenden Schutzsuchenden in den anderen Betreuungsstellen des Bundes unterzubringen - neben Thalham im oberösterreichischen St. Georgen sind das Bad Kreuzen (ebenfalls in Oberösterreich), Reichenau an der Rax (Niederösterreich), Fieberbrunn (Tirol) und Wien-Mitte. Kommen mehr als 130 Asylsuchende an einem Tag, "müssen wir ein Notszenario entwickeln".
Als langfristige Lösung hält die Innenministerin jedenfalls an ihrem Plan fest, die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen. Denn der Rückstau in Traiskirchen ist ja vor allem der Tatsache geschuldet, dass sieben von neun Bundesländern die vereinbarten Grundversorgungsquoten nicht erfüllen. Geht es nach Mikl-Leitner, soll daher ab Sommer 2015 die Erstprüfung, ob ein Asylsuchender zum Verfahren zugelassen wird, bereits in den Ländern stattfinden. Zwar wird auch das der Bund übernehmen, indem die bestehenden Regionaldirektionen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ausgeweitet werden, die Unterbringung ist aber von Beginn an Ländersache. Dadurch soll eine Beschleunigung der Verfahren erreicht werden. Sollte ein Land wegen großen Andrangs seine Quote übererfüllen, übernimmt der Bund Koordinierungsaufgaben und sorgt dafür, dass Asylwerber in anderen Bundesländern ein Quartier finden.
Bei uns noch graue Theorie, ist dieser Automatismus beim Nachbarn schon längst Realität. Wer als Schutzsuchender nach Deutschland kommt, wird von der Grenzbehörde an die nächstgelegene Erstaufnahme-Einrichtung verwiesen. Davon gibt es rund 20 in ganz Deutschland, die Kapazitäten liegen bei je 500 Personen. In jeder dieser Einrichtungen befindet sich eine Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dort wird EDV-gestützt überprüft, in welchem Bundesland der Asylsuchende den Antrag stellen muss.
Steueraufkommen spielt eine Rolle bei der Verteilung
Das ist von mehreren Faktoren abhängig, wie Christiane Germann vom BAMF der "Wiener Zeitung" erläutert: Einerseits spielt der "Königsteiner Schlüssel" eine Rolle. Dieser Verteilungsschlüssel wird jährlich basierend auf der Bevölkerungszahl und den Steuereinnahmen errechnet - Letzteres ist ein wesentlicher Unterschied zur österreichischen Quotenregelung. So müssen vergleichsweise "reiche" Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Bayern mehr Asylwerber aufnehmen als etwa Mecklenburg-Vorpommern oder das Saarland. Ein weiteres Kriterium dafür, wessen Asylantrag wo bearbeitet wird, ist das Herkunftsland. Denn nicht alle Außenstellen des BAMF bearbeiten alle Herkunftsländer.
"Das ist ein sehr bürokratisches Umverteilungssystem", sagt Alexander Thal von der NGO Bayerischer Flüchtlingsrat. Es sorgt aber auch dafür, dass anders als in Österreich "kein Weigern möglich ist. Die Bundesländer müssen die Asylsuchenden aufnehmen." Wie sich das Leben der Menschen weiter gestaltet, variiert aber sehr stark von Bundesland zu Bundesland. Die Asylwerber müssen bis zu sechs Wochen, maximal aber bis zu drei Monate in der Aufnahmeeinrichtung bleiben. Danach werden sie - je nach Land - in unterschiedlichen Unterkünften verteilt. In Bayern, das klingt sehr bekannt, entstand in den Erstaufnahme-Einrichtungen ein Rückstau, weil die Anschlussunterbringung eben nicht geklappt hat.
Dort ging man dann so weit, dass man den Landkreisen und Städten drohte, die Asylwerber "vor das Landratsamt zu stellen", schildert Thal - erst dann kamen die Asylwerber in Schulen, Containern und Hotels unter. "Derzeit herrscht hier Notverwaltung", sagt der Experte, in Einzelfällen dauere es bis zu eineinhalb Jahre, bis ein Asylwerber überhaupt einen Interviewtermin bekommt, die Verfahren selbst dauern im Durchschnitt bis zu zwei Jahre -das Vierfache der gesetzlich vorgesehenen Frist. Im Vergleich zum Rest Deutschlands ist das bayerische System laut Thal besonders streng - dort müssen Asylwerber das gesamte Verfahren in den Massenunterkünften verbringen. "Über Jahre hinweg in einem Mehrbettzimmer - das macht die Menschen fertig."
Arbeitserlaubnis für Asylwerber nach drei Monaten
In anderen Ländern werden sie in kleineren Quartieren untergebracht, was wiederum auch weniger Widerstand in der Nachbarschaft hervorruft. In Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) etwa dürften Asylwerber in selbst organisierte Wohngemeinschaften oder auch in eigene Wohnungen ziehen. "Das ist für das Klima in der Stadt besser, es ist billiger und es fördert die Integration - alle haben damit gewonnen", sagt Thal. Voraussetzung für die Eigenständigkeit der Asylwerber ist aber eines: ein Arbeitsplatz. Und da hat Deutschland Österreich Einiges voraus. Denn während Asylwerber hierzulande aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben, hat Deutschland erst 2013 die Wartefrist, in der ein Asylwerber nicht arbeiten darf, von einem Jahr auf neun Monate verkürzt. Anfang Juli 2014 hat der Bundestag einen Entwurf verabschiedet, wonach die Frist künftig gar nur noch drei Monate betragen soll. "Dadurch soll die Abhängigkeit dieser Personengruppe von öffentlichen Sozialleistungen reduziert werden", heißt es darin.
Trotz ähnlicher systemischer Schwierigkeiten hat Deutschland Österreich also einiges voraus. Und: "Container haben wir, Zelte zum Glück nicht", sagt Thal zur bayerischen "Notverwaltung".