Vor 150 Jahren klagte Nietzsche über "die allerhöchste Geistesarmut" und über einen "wahrhaft täppischen Zirkeltanz" in der pädagogischen Diskussion. Dieses Urteil gilt uneingeschränkt auch für unsere Tage.
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Da lässt die Unterrichtsministerin den Lehrern über die Medien mitteilen, dass deren Arbeitszeit um zwei Stunden erhöht werden müsse, wenn die vorgesehene Schulreform durchgeführt werden soll. Die gewerkschaftliche Vertretung der Lehrer spricht sich sowohl gegen dieses Vorhaben aus als auch gegen die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird. Die Ministerin entwickelt daraufhin eine geschickte Strategie: Auf der einen Seite lobt sie Arbeit und Leistung der Lehrer, auf der anderen Seite bedient sie sich der Neidgesellschaft mit dem Hinweis auf die langen Ferien und die scheinbare Sicherheit des Arbeitsplatzes. Die Mehrheit der Bevölkerung bejaht die Forderung der Unterrichtsministerin.
Die Medien stürzen sich mit Wollust auf dieses Thema, selbsternannte Bildungsexperten melden sich zu Wort. In einer Diskussionsrunde wird die Ministerin gebeten, eine Begründung für ihre Forderung zu geben. Sie ergeht sich in den seit Jahren bekannten Floskeln: Es ginge doch um das Kind, um dessen Förderung, Bildung sei überhaupt das Wichtigste für den Einzelnen, für die Wirtschaft und Gesellschaft. Das Drängen der Lehrervertreter auf eine konkretere Antwort wird von der Moderatorin missachtet.
Ein "Erziehungswissenschafter" gibt in der ORF-"ZiB2" das erwartete positive Votum ab; aber man könne das Vorhaben zunächst auf zwei Jahre begrenzen. Dieser Vorschlag wird wiederum in einem weiteren Interview des ORF von der Unterrichtsministerin dankbar aufgegriffen.
Sie sieht nicht seine Unlogik; er unterläuft und relativiert die behauptete Notwendigkeit ihrer Forderung; er ist gleichzeitig hinterhältig, denn hierzulande sind sogenannte Provisorien langlebig und kaum abzuschaffen. Die Strategie ist leicht zu durchschauen.
Kaum durchschaubar ist, dass die Unterrichtsministerin bei Nichterfüllung ihres Ansinnens den Rücktritt, zumindest das Ende der doch so erfolgversprechenden Reformen androht.
Wenn schon die kreative Kraft für wirkliche Reformen fehlt, dann sollte man zunächst die pädagogische Schulpraxis von den vielen unsinnigen Vorschriften befreien; man sollte ein Klima schaffen, das die Lehrer nicht unter ständige Kontrolle stellt; man sollte angemessene Arbeitsplätze schaffen, Schulhöfe einrichten, damit die Kinder in den Pausen an die frische Luft gehen können; vor allem sollte man nicht aus strategischen Gründen den Ruf der Lehrer schädigen.
Das Wichtigere ist nicht die Zeit, sondern die Qualität dessen, was in der Zeit geschehen soll. Dafür bedarf es einer anderen Lehrerbildung, als sie zur Zeit betrieben wird.
Marian Heitger ist Erziehungswissenschafter und emeritierter Professor der Universität Wien.
"Wenn schon die
kreative Kraft für echte Reformen fehlt, sollte man die Schulpraxis von den unsinnigen Vorschriften befreien."