Am 60. Jahrestag der sogenannten "Reichskristallnacht" fand erstmals auf Initiative und auf Rechnung des österreichischen Außenministeriums in Jerusalem eine Gedenkfeier statt. Österreichs | Botschafter Wolfgang Paul legte in der Erinnerungshalle von Yad Vashem einen Kranz nieder.
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Diesmal blieben die Opfer nicht unter sich. Mit rund 150 aus Österreich stammenden Juden, Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung, die gestern aus allen Teilen Israels mit Bussen zur
Holocaust-Gedenkstätte gebracht wurden, gedachte Österreichs Botschafter des schrecklichen Auftakts zur "Endlösung", der Vernichtung des europäischen Judentums, am 9. November 1938.
Die gemeinsame Feierstunde der überlebenden Opfer und der Repräsentanten des Staates, der sich so lange Zeit vor dem Einbekennen der Mittäterschaft vieler seiner Bürger gescheut hatte, war ein
wesentliches Anzeichen für die Wende im Umgang mit der österreichischen Vergangenheit. Die Wende eingeleitet hatte der ehemalige Bundeskanzler Vranitzky 1993 mit seiner Rede vor dem israelischen
Parlament. Es war viel von der Vergangenheit die Rede, deutlich aber auch von Gegenwart und Zukunft. Botschafter Paul ließ aufhorchen mit dem Satz: "Wahrheit verjährt nicht!" in einer Zeit, in der
alte Schuld und alte unbeglichene Schulden wieder an die Oberfläche des gesellschaftlichen Bewußtseins kommen und mit ihnen das Bedürfnis nach Vergessen. In klaren Worten listete Paul die Wahrheit
des 9. November 1938 auf: Brandstiftung, Vandalismus, Vertreibung, Zerstörung, Verhaftung, Ermordung, aktive Mittäterschaft, Teilnahmslosigkeit, Schweigen. Der Mahnung, niemals zuzulassen, daß sich
derart Schreckliches wiederholen kann, schloß Paul die Notwendigkeit der Bereitschaft an, die Mitverantwortung zu akzeptieren, und als Schlüssel für das Verhältnis zwischen Gegenwart und Zukunft,
Israel und Österreich, Juden und Nichtjuden die Annahme der "Geschichte auf der Grundlage der Wahrheit" zu verstehen. Auf seiten der Opfer erklärte Gideon Eckhaus, Vorsitzender des Zentralrats der
Juden aus Österreich in Israel, daß der Generation der Nachgeborenen keine Schuld anzulasten ist, daß sie aber in der Welt, die für alle immer von den Vorfahren geprägt worden ist, nicht die
Konsequenzen des von den Vorfahren zu Verantwortenden abschütteln solle. Eckhaus spielte hier zweifellos auf die immer noch ungelösten Fragen einer gerechten Vermögensrückerstattung an. Wichtig war
auch ihm, daß die richtigen Lehren aus dem Furchtbaren des Holocaust gezogen würden, an dessen Anfang die "Kristallnacht" stand: die Wiederholbarkeit zu erkennen, auch in jenen Kriegen,
Terroranschlägen und Konflikten, die seit Ende des 2. Weltkriegs zehntausende Menschenleben vernichtet haben, und daher junge Menschen, wo immer sie leben, dahin zu führen, sich bewußt für
Menschenrechte, Demokratie und Freiheit einzusetzen.