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NS-Gräuel - "verwoben und ganz nah"

Von Michael Schmölzer

Politik
Die neue Ausstellung in Block 17 wird am Montag eröffnet.
© Parlamentsdirektion/Ulrike Wieser

Van der Bellen eröffnet Ausstellung in Auschwitz. Ein Gespräch mit der Kuratorin Barbara Staudinger.


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Mehr als 11.000 Österreicher fanden im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau den Tod, das ist ein Sechstel aller österreichischen Holocaust-Opfer. Viele wurden nach ihrer Ankunft direkt in die Gaskammern getrieben, ohne dass man sie namentlich erfasst hätte. Die überwiegende Mehrzahl der in Auschwitz um Leben gekommen Österreicher waren Juden.

Was nach 1945 zunächst weniger Beachtung fand, ist die Tatsache, dass sich unter den NS-Tätern zahlreiche Österreicher befanden. So ist Adolf Eichmann mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Millionen Juden. Odilo Globocnik war Leiter der "Aktion Reinhardt" zur Vernichtung der Juden im Generalgouvernement. 1943 organisierte er in anderer Funktion die Deportation von Juden nach Auschwitz. Unter dem Kommando des Österreichers Alois Brunner, genannt "Brunner I", gingen 22 Transporte jüdischer Menschen in dieses KZ.

Neues Konzept nach Protest

Am Montag reist Bundespräsident Alexander Van der Bellen per Zug nach Polen, um im Block 17 des Stammlagers an der Eröffnung der neuen österreichischen Länderausstellung "Entfernung - Österreich und Auschwitz" teilzunehmen. Begleitet wird er von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures, Außenminister Alexander Schallenberg, Europaministerin Karoline Edtstadler und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein.

Die neue Ausstellung ist die überarbeitete Version einer älteren, die ins Jahr 1978 datiert. Die "Wiener Zeitung" hat mit Barbara Staudinger, die ab Juli 2022 die Direktion des Jüdischen Museums in Wien übernimmt und als Kuratorin die Länderausstellung mitgestaltet hat, über das neue Konzept gesprochen. Die ursprüngliche Ausstellung, so Staudinger, "war ganz wesentlich von Überlebenden gestaltet - die haben sich als erstes Opfer gesehen und sie waren auch die erstes Opfer. Für sie hat es gestimmt, nur für die Republik Österreich hat es nicht gestimmt."

In der ursprünglichen Ausstellung seien Betonpfeiler zu sehen gewesen, ein gespannter Stacheldraht - "über den man sich in das Lager hineinversetzt hat, obwohl man ja schon in der Gedenkstätte war", sagt Staudinger. Es habe keine Originalobjekte gegeben, "das war damals nicht so wichtig". Allerdings seien sehr wohl wichtige Themen angesprochen, und, in einem sehr kleinen Bereich der Ausstellung, auch österreichische Täter gezeigt worden.

Die ursprüngliche Eingangs-Tafel sei von einem der überlebenden Österreicher gestaltet worden, so Staudinger. Die Aussage, dass Österreich am 11. März 1938 erstes Opfer des Nationalsozialismus gewesen wäre, habe zu Protesten und schließlich zur Schließung der Ausstellung geführt. Zuvor sei allerdings eine Zusatztafel angebracht worden auf der erklärt wurde, dass das nicht mehr das Geschichtsbild der Republik sei.

Die Neukonzeption der Austellung ist ein jahrelanger Prozess gewesen, wie Staudinger betont, jeder Text sei vom staatlichen polnischen Museum Auschwitz-Birkenau freigegeben worden. "Wenn es um Antisemitismus geht, gibt es schon unterschiedliche Auffassungen", berichtet die Kuratorin aus der Praxis. So gebe es eine wissenschaftliche Tradition in Österreich, wo etwa der christliche Antisemitismus eine Rolle spiele. "Das hat man in der Gedenkstätte nicht so gerne gehört."

Das neue Ausstellungskonzept verschränkt zwei Ideen miteinander, erklärt Staudinger. Eine Idee sei, dass jede Geschichte eines Österreichers oder einer Österreicherin in Auschwitz ja auch eine Geschichte in Österreich habe. Ziel sei es nun gewesen, diese Geschichte zusammenzuführen, "weil das Eine ohne das Andere ja gar nicht existiert".

Österreich als Vorstellung

Die Objekte, die in der Ausstellung zu sehen sind, sind Gegenstände aus dem Konzentrationslager selbst, sie sind im Auschwitz-Zusammenhang entstanden. Die Gegenstände, die auf die österreichische Geschichte verweisen, sind hingegen nur virtuell vorhanden. "Österreich ist also nicht wirklich anwesend, irgendwie aber schon", erklärt Staudinger. "Als Vorstellung, als Sehnsuchtsort, als Heimat."

Konkret stellt sich das so dar: "Man sieht eine graue Glaswand und dahinter verbergen sich Bildschirme und eine Video-Simulation", so Staudinger. "3D-gefilmte Objekte, die in einen virtuellen Raum hineingestellt sind."

Ein weiteres zentrales Moment der Ausstellung ist, so Staudinger, dass Täter und Opfer nicht strikt getrennt dargestellt werden. "Auch diese Geschichten sind miteinander verbunden, es gibt keine Opfer ohne Täter, deshalb sind sie in einer Ausstellung verwoben - wo wir auch strukturelle Prozesse erzählen".

Gezeigt werden einzelne Täter und Täterinnen - wie etwa die wegen ihrer Grausamkeit gefürchtete KZ-Oberaufseherin Maria Mandl. "Auch die haben eine Geschichte in Österreich gehabt", sagt Staudinger. "Und die ist auch nicht von der jeweiligen Geschichte in Auschwitz zu trennen."

Österreichische NS-Verbrecher wie Eichmann, Globocnik oder Brunner spielen auf der virtuellen Leinwand eine Rolle. "Sie sind anwesend, aber nicht wirklich, weil sie ja nie selbst in Auschwitz waren."

System Eichmann

Auf virtueller Ebene wird auch ein großer Bestand an erkennungsdienstlichen Fotografien der Gestapo ausgestellt. Dieser wurde gescannt, digitalisiert und als Abfolge sichtbar gemacht. "Da sieht man, wie das System Eichmann in Wien funktioniert hat", erklärt Staudinger. Dazu ist das Schreiben eines Vorarlberger Bürgermeisters zu sehen, der berichtet, dass der letzte Jude des Ortes "abgegeben worden" sei. Persönlich und bei der Gestapo. "In einer kleinen Kommune, wo jeder jeden kennt, geschieht das ganz anders wie in einer Millionenstadt wie Wien", sagt die Kuratorin. "Uns war es wichtig, zu zeigen, wie unterschiedlich diese Strukturen funktioniert haben."

Gezeigt wird auch die Reisekostenabrechnung einer Pädagogin eines Waisenhauses in Salzburg, die ein Roma-Mädchen persönlich nach Birkenau gebracht und dort am Lagertor abgegeben hat, um dann wieder zurückzufahren. Das Mädchen war vier Jahre alt und wurde ermordet.

"Wir haben die Ausstellung ‚Entfernung‘ genannt, weil das eine doppelte Bedeutung hat", so Staudinger. "Einerseits ist Auschwitz für uns sehr weit weg, nicht nur zeitlich, auch im Denken glaubt man, dass es ganz weit weg im Osten ist. Durch die Geschichten der Einzelnen wird es plötzlich ganz, ganz nah."