Justizministerium will vorhandene Lücken schließen. | Homosexuellen- Urteile sollen aufgehoben, Ausländer einbezogen werden. | Wien. Die Bundesregierung will die Frage der Rehabilitierung von Opfern der NS-Justiz nach langem Streit in Angriff nehmen. 70 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kochte die Diskussion, wie von Nazi-Richtern verurteilte Wehrmachts-Deserteure heute zu beurteilen seien, wieder hoch. In der Bundesregierung ist man jetzt offenbar einig, dass das 2005 von der schwarz-orangen Koalition beschlossene "Anerkennungsgesetz" zu reformieren ist.
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Derzeit liegt im Justizausschuss ein umfassendes NS-Aufhebungsgesetz, das von dem Linzer Strafrechtsprofessor Reinhard Moos ausgearbeitet und von den Grünen eingebracht wurde. Ab dem 7. Oktober soll der Gesetzesvorschlag im Parlament behandelt werden. Parallel dazu macht man sich im Justizministerium Gedanken darüber, wie ein neues Rehabilitierungs-Gesetz aussehen könnte.
Wolfgang Bogensberger, er ist Sektionschef im Justizministerium und mit der Sache befasst, räumte am Dienstag bei einer Podiumsdiskussion ein, dass die vorhandenen Gesetze unbefriedigend seien und erweitert werden müssten. So nehme das Anerkennungsgesetz nur auf Österreicher Bezug, was nicht zulässig sei.
Bogensberger illustriert diese Schwachstelle mit einem Beispiel aus dem Februar 1944. Damals hätten zwei Griechen aus Patras, Zwangsarbeiter in den Steyr-Werken, zerschlissene Hosen und leere lederne Pistolen-Holster aus dem Schutt gezogen. Die Südländer wollten sich so gegen die Kälte schützen, die Pistolen-Holster sollten zum Flicken ihrer löchrigen Schuhe verwendet werden. Den Nazis war in jenen Tagen daran gelegen, ein Exempel zu statuieren; die beiden Griechen wurden zu "Volksschädlingen" erklärt und hingerichtet. Eine der Begründungen war, sie hätten "das Gastrecht missbraucht".
Zwei Uralt-Gesetzeaus dem Hut gezogen
Mit dem von der ÖVP-BZÖ- Koalition 2005 beschlossenen Anerkennungsgesetz wurden lediglich zwei alte Gesetze reaktiviert, das NS-Aufhebungs- und Einstellungsgesetz aus dem Jahr 1945 und die Befreiungsamnestie aus 1946. Die Urteile, die von Zivilgerichten über Kastration von Homosexuellen, Zwangsabtreibungen und Sterilisationen gefällt wurden, sind darin nicht enthalten. Ein Missstand, den man beheben will. Sektionschef Bogensberger ließ außerdem durchblicken, dass in dem neuen Gesetz vorgesehen ist, Wehrmachts-Deserteure generell zu rehabilitieren. "Die Prüfung des Einzelfalls ist nicht notwendig", so Bogensberger. Damit würde Österreich dem Beispiel Deutschlands folgen, wo unlängst die so genannten "Kriegsverräter" pauschal rehabilitiert wurden.
Jedenfalls im Prinzip. Denn einen Vorbehalt bei der Rehabilitierung von NS-Justizopfern soll es laut Bogensberger geben: Bei so genannten Mischverurteilungen müsse man sich weiterhin jeden Fall einzeln ansehen. Eine Mischverurteilung liegt dann vor, wenn ein Beschuldigter nur zum Teil auf Grundlage von NS-Unrecht verurteilt wurde.
Dienst in derWehrmacht "Verrat"
Diese Einschränkung stößt auf Kritik. Das Personenkomitee "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" etwa, dem Ex-Nationalratspräsident Andreas Kohl angehört, befürchtet, dass sich diese Hintertür zum Einfallstor für die "Kameradenmörder-Argumentation" entwickeln könnte.
Diese These geht davon aus, dass NS-Deserteure bei der Flucht Kameraden erschossen oder die Frontlinie geschwächt und damit ihre Mitsoldaten indirekt getötet hätten. In der FPÖ kann man sich mit dieser Argumentation anfreunden. In der SPÖ hält man davon nichts. Es sollten nicht nur jene rehabilitiert werden, die keinen Kameraden getötet haben, sondern auch jene, die dies im Zusammenhang mit ihrem Widerstand taten, sagt SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim.
Auch der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser sieht in einer fallweisen Einzelprüfung ein Problem: Zum einen hätten Forschungen ergeben, dass nur in 0,4 Prozent aller Desertionen Tötungsdelikte begangen wurden. Laut Moskauer Deklaration sei Desertion ein Akt des Widerstands gewesen, es sei aus heutiger Sicht nicht legitim, rückblickend über die Wahl der Mittel zu urteilen, so Steinhauser.
Auch für den Politologen David Forster - er nennt die Rehabilitation von NS-Opfer in derzeitiger Form "verhatscht" -, ist es höchst problematisch, über Mischverurteilungen zu urteilen. Die Vorgangsweisen der NS-Gerichte würden in keinem Fall rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. "Wie wollen Sie das prüfen", so Forster an Sektionschef Bogensberger.
Für Oscar Bronner, Herausgeber des "Standard", ist es jedenfalls "absurd", die Motive von Wehrmachts-Deserteuren zu prüfen. Österreich sei laut gültiger Doktrin von Hitler-Deutschland überfallen worden. Streng genommen habe jeder Österreicher, der als Soldat in der Wehrmacht gedient habe, Verrat begangen. Es habe sich um Kollaborateure einer Okkupanten-Armee gehandelt, so Bronner, der aber keinesfalls den Stab über die, die in der Wehrmacht gedient haben, brechen will.
Einigkeit herrscht darüber, dass eine Novellierung des Anerkennungsgesetzes in greifbare Nähe gerückt ist. Ein komplett neuer Wurf ist nicht zu erwarten, auch das neue Rehabilitierungs-Gesetz dürfte sich auf die Regelungen von 1945 und 1946 berufen.