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NSDAP-Vergleich bringt deutsche Piraten in stürmische Gewässer

Von Alexander Dworzak

Europaarchiv

Partei fehlt klare Abgrenzung zum Rechtsextremismus.


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Berlin. "Politik - transparent gestaltet", proklamiert die deutsche Piratenpartei auf ihrer Webseite. Diese Offenheit interpretierten einige Mitglieder als Nonchalance gen Rechts: "Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933", erklärte der Berliner Fraktionschef, Martin Delius, in einem Interview mit dem "Spiegel". Angesichts der heftigen Kritik zog der 27-Jährige nun seine Kandidatur für den Bundesvorstand in einer Woche zurück; er behält aber sein Mandat.

Delius’ Äußerung ist kein Einzelfall; händeringend suchen die Piraten ihren Kurs gegen Rechtsextremismus und abstruse geschichtliche Vergleiche in den eigenen Reihen. Für einen toleranten Umgang mit rechten Parteifreunden hatte etwa der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes, Hartmut Semken, plädiert. Wer zur Blockade von Nazi-Aufmärschen aufrufe, wende seiner Meinung nach selbst "Nazimethoden" an. Ein Kandidat für den Bundesvorstand möchte das Leugnen des Holocaust legalisieren, ein weiterer übt Kritik am "Weltjudentum". Zuletzt war ein Parteiausschlussverfahren gegen den rheinland-pfälzischen Piraten Bodo Thiesen gescheitert. Er soll Verständnis für den Angriff Deutschlands auf Polen 1939 gezeigt haben.

Ablehnung und Unruhe

Mit Empörung reagieren Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien auf Delius’ Aussagen. Es sei höchste Zeit klarzumachen, wo die Grenzen lägen, um Mitglied der Piraten zu werden, meinte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, gegenüber der "Welt". Konservative, Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Liberale sind kompromisslose Gegner jeglicher Anbiederung an die Nazi-Vergangenheit. Gleichzeitig sorgt der Höhenflug der Piraten für Unruhe in den etablierten Parteien. Trotz lückenhaften Parteiprogramms und Dilettantismus der Abgeordneten liegen die Piraten in Umfragen mit 13 Prozent auf Platz drei.

Doch die Piraten fürchten sich, den Anschein der Koketterie mit dem Rechtsextremismus nicht mehr loszuwerden - obwohl sie in den Statuten "totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art" ablehnen. "Unsere Ideen versinken in lauter Müll und Dreck", sagte Geschäftsführerin Marina Weisband. Der Berliner Landesvorstand hat auf die Debatte reagiert und eine Konferenz zum Thema Rechtsextremismus für Ende Mai angekündigt.

Die Diskussion um Rechtsextremismus in der Partei treiben die Piraten mit ungewöhnlichen Mitteln voran: Seit kurzem werden auf einem Blog rassistische Chatbeiträge, Mails und Twitter-Einträge gemeldet - wie auch als chauvinistisch kritisierte Zitate. Auf Twitter hatte der Berliner Abgeordnete Alexander Morlang die Ex-Freundin eines Parteikollegen eine "Ex-Fickse" genannt. Zu seiner Verteidigung sagte Morlang, er habe nur eine sexuelle Partnerschaft in einem Netzwerk polyamouröser Beziehungen beschreiben wollen, so der "Tagesspiegel". Parteichef Sebastian Nerz gab kleinlaut zu: "Es gibt Verbesserungspotenzial in unseren Umgangsformen. Wir müssen lernen, sachlicher und höflicher miteinander umzugehen."