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"Nu, Genossen: Da gehört er hin"

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Mit diesen Worten soll "Spitzbart" Walter Ulbricht, Staatsratsvor- sitzender der DDR, persönlich den Standort des Prestigeprojekts (Ost-)Berliner Fernsehturm festgelegt haben.


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Heute wird nicht nur der "Tag der deutschen Einheit" gefeiert, sondern auch der 40. Geburtstag eines ihrer Symbole. Am 3. Oktober 1969 wurde in der damaligen Hauptstadt der DDR, der 365 Meter hohe Fernsehturm eröffnet.

Nachdem die DDR das Schloss der Hohenzollern gesprengt hatte, wollte sie in der Mitte der Stadt ein weithin sichtbares architektonisches Symbol für die "neue Gesellschaft" errichten. Um die Überlegenheit oder zumindest Konkurrenzfähigkeit des sozialistischen Systems zu beweisen, musste zunächst der älteste Teil Berlins weichen. Der mittelalterliche Stadtkern wurde abgerissen. Stattdessen bildete der Fernsehturm einen neuen Mittelpunkt, auf den alle großen Straßen Ost-Berlins zuführen.

Auf Bodenniveau hat der Turmsockel einen Durchmesser von 32 Metern. Der eigentliche Schaft halbiert sich sehr rasch auf 16 und verjüngt sich bis zur Spitze auf nur 9 Meter. Dort muss er immerhin die Last der 4800 Tonnen schweren Stahlkugel und noch einmal 350 Tonnen Antennenmast tragen. Die Kugel in 212 Metern Höhe beherbergt eine Aussichtsplattform, ein Restaurant mit 200 Plätzen, eine Bar sowie die dem Publikum verschlossenen Technikbereiche für die Telekom. Zwei Schnellaufzüge bringen die eine Million Besucher pro Jahr in Sekundenschnelle nach oben. Die 365 Meter ursprünglicher Höhe (für jeden Tag des Jahres ein Meter) wurden durch eine stärkere Antenne inzwischen auf 368 Meter erhöht.

Das Restaurant dreht sich in einer halben Stunde einmal um die eigene Achse, was den Besuchern zwar ein wunderbares Panorama beschert, aber den Kellnerinnen viel Laufleistung und gutes Orientierungsvermögen abverlangt, weil sich die Küche nicht mitdreht.

Für die West-Berliner war der Bau ein Stachel im Fleisch, denn er überragt die ganze Stadt und ist von überall zu sehen. Bis heute ist er das höchste Bauwerk in Deutschland. Dennoch wurde anerkannt, um welch technische Meisterleistung es sich hier handelte. Ja, man konnte dem Werk nicht einmal eine gewisse Eleganz absprechen.

Der gesamte Komplex atmet die Atmosphäre der 60er Jahre. Unter dem Eindruck der jungen Raumfahrt sollte der schmale Baukörper wie eine Rakete wirken. Auch die Metallkugel in luftiger Höhe sollte an die ersten russischen Sputniks erinnern - und ursprünglich sogar in strahlendem Rot leuchten.

Wenn es um Spitznamen für ein außergewöhnliches Bauwerk geht, sind die Berliner nicht maulfaul. Zwar hätten die DDR-Granden am liebsten gehört, wenn die Berliner die gigantische

Betonsäule "Telespargel" nennten, aber die taten ihnen nicht den Gefallen, sondern tauften sie "Imponierkeule", "Protzstengel" oder kurzerhand "Sankt Walter". Walter war der Vorname Ulbrichts und das "Sankt" rührte daher, dass man auf der Kugel des Turms in rund 200 Metern Höhe bei Sonnenschein deutlich ein Kreuzzeichen erkennen kann. Das trug dem Bau auch den Spitznamen "Rache des Papstes" ein.

Zum heutigen 40. Geburtstag haben sich die Betreiber etwas Besonderes einfallen lassen: Eine Zeitreise zurück in die DDR und ihre Gastronomie der 60er Jahre. Die Eintrittskarte für diesen Tag, wurde dem damaligen Ticket nachempfunden und auch bei der Speisen- und Getränkeauswahl im Restaurant sowie an der Bar wird das damalige Angebot präsentiert. Um die Zeitreise abzurunden, wird man wie damals an den Tischen platziert und nach einer Stunde aufgefordert, den Platz für die nächsten Gäste freizugeben. Motto: "Iss schneller, Genosse!"