Knapp 5000 Hektar Land und einige Millionen Pfund hat der ägyptische Präsident den Nubiern in Aussicht gestellt. Wende in den seit Jahrzehnten angespannten Beziehung zwischen Regierung und Minderheit oder Wahlkampfrhetorik?
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Kairo. Das Gebiet südlich von Aswan bis weit in den Sudan hinein gilt als Land der Nubier. Schon zur Zeit des alten Ägypten leben sie am Ufer des Nil, als 25. Dynastie herrschen Nubier als Pharaonen über Ägypten. Heute ist ein großer Teil des traditionellen nubischen Siedlungsgebietes im Wasser des Nasser-Stausees versunken. Im Zuge der Bauarbeiten am Staudamm ließ die ägyptische Regierung 1964 etwa 50.000 Nubier umsiedeln. Ihre Dörfer und Palmen, Friedhöfe und heiligen Orte versanken im 500 Kilometer langen und bis zu 35 Kilometer breiten Stausee. Der damalige Präsident Gamal Abdel Nasser versprach, dass die Umsiedelung nur für kurze Dauer sei und sie später neues Land am Ufer des Stausees erhalten würden. Doch Nasser starb und sein Versprechen wurde bis heute nicht eingelöst.
Frust frisst Hoffnung
Als Ägypten im Jänner 2014 eine neue Verfassung erhält, knüpfen sich die Hoffnungen der Nubier an den darin enthaltenen Artikel 236. Der Artikel verpflichtet den Staat, der nubischen Bevölkerung im Süden Ägyptens innerhalb von zehn Jahren Land entlang des Stausees zu übertragen und dieses mit der notwendigen Infrastruktur auszustatten. Fatma Emam kennt den Wortlaut von Artikel 236 genau. Die in Kairo lebende Übersetzerin und Frauenrechtlerin war 2014 eine Beraterin des nubischen Schriftstellers Haggag Addoul, der an der Ausarbeitung des Verfassungstextes beteiligt war. Doch aus Hoffnung wurde Frustration. "Seit die neue Verfassung vor vier Jahren in Kraft trat, haben sich die Dinge verschlechtert", sagt die 35-Jährige. Denn noch im selben Jahr, in dem Ägypten seine neue Verfassung erhielt, gibt es einen Erlass von Präsident Abd al-Fattah as-Sisi, der Land an der Grenze zum Sudan zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Land, das die Nubier als Siedlungsgebiet beanspruchen und das jetzt weder bewohnt noch als Farmland genutzt werden darf.
Dabei bleibt es nicht. In einem weiteren Erlass gibt die Regierung 2016 rund 390 Hektar altes nubisches Siedlungsgebiet südlich von Aswan zum Verkauf an ägyptische und ausländische Investoren frei. Es kommt zu Protesten. Der Verkauf des Landes wird abgebrochen. "Zumindest behauptet die Regierung das", so Emam. "Ob sie das Land im Geheimen dennoch verkauft hat, wissen wir nicht."
Vom Nil in die Wüste
Das Gebiet, das den Nubiern im Zuge der Umsiedelung in den 60ern zugewiesen wurde, liegt nördlich von Aswan bei Kom Ombo, etwa 50 Kilometer vom Nil entfernt in der westlichen Wüste. "Das alltägliche Leben der Nubier bezog sich immer auf den Nil", sagt Emam. "Neugeborene wurden im Nil getauft, Ehen am Nil geschlossen." Als Fischer und Farmer seien sie auch ökonomisch vom Nil abhängig gewesen. Die neue Umgebung bedeutete für die Umgesiedelten daher einen völligen Bruch mit ihrer bisherigen Lebensweise. Aber nicht nur das. "Die vom Staat zur Verfügung gestellten neuen Häuser waren schlecht gebaut", sagt Emam. "Die Wände bekamen innerhalb kurzer Zeit Risse, der Verputz bröckelte ab." Hinzu kam, dass die Böden salzig und daher für Landwirtschaft wenig geeignet waren. Etwa 90.000 Nubier sollen heute noch in den "neuen" Dörfern leben. Genaue Statistiken gebe es nicht. "Die Regierung lässt eine Zählung der nubischen Bevölkerung nicht zu", so Emam.
Im Laufe der Jahrzehnte zogen viele Nubier in die großen Städte des Nordens, um dort Arbeit zu finden. Für die jüngere Generation, die in Kairo oder Alexandria geboren wurde, verliert der Kampf um das nubische Siedlungsgebiet im Süden Ägyptens an Bedeutung. Eine Entwicklung im Sinne des Staates, der über die Nubier und ihre Kultur lieber schweigt. Viele Ägypter wissen nicht, dass die Nubier ihre angestammten Siedlungsgebiete für den Bau des Nasser-Staudammes geopfert haben. "In den Schulbüchern steht über nubische Kultur und Geschichte nichts zu lesen", sagt Fatma Emam. "Die Geschichte Ägyptens, das sind zunächst die Pharaonen, dann der Islam." Alles andere werde ausgeblendet. "Es besteht die Gefahr, dass die Nubier ihre eigene Sprache und Kultur vergessen." Um sich dem Prozess der Arabisierung, wie Emam es nennt, zu widersetzen, betreiben Nubier Kulturvereine, in denen sie die Sprache unterrichten, geben eigene Zeitungen heraus, vernetzen sich über Social Media, sammeln historische Fotos und Texte, um ihre Geschichte auf Websites darzustellen. Emam ist in Kairo geboren, die Rückkehr in den Süden des Landes ist eine Option für sie. Neben Landwirtschaft und Fischerei wäre Kulturtourismus eine Chance, so Emam. Allerdings nur, wenn es eine gute Infrastruktur gebe, wie es Artikel 236 der Verfassung vorsieht.
Umdenken der Regierung?
Obwohl weiterhin Demonstrationen für die Rechte der Nubier aufgelöst und Aktivisten verhaftet werden, scheint die Regierung zu Zugeständnissen bereit. Im Jänner 2017 kündigte Präsident Al-Sisi an, rund 5000 Hektar Land den Nubiern als Siedlungsgebiet zu überlassen. Weiters stellt die Regierung 320 Millionen Ägyptische Pfund (14,5 Millionen Euro) für Juni 2018 in Aussicht, um die Infrastruktur in jenen Dörfern nördlich von Aswan zu verbessern, wohin die Nubier in den 60ern umgesiedelt wurden. Weitere fünf Milliarden Ägyptische Pfund (etwa 230 Millionen Euro) sollen in den nächsten fünf Jahren in die Entwicklung des südlichen Ägyptens investiert werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und nubische Altertümer zu schützen. Doch Fatma Emam bleibt skeptisch. "Das ist Teil des Wahlkampfes", sagt sie. Und verweist auf die für März 2018 einberaumten Präsidentenwahlen, zu denen auch Al-Sisi wieder antritt. "Abgesehen davon", sagt Emam, "den Nubiern Land zu geben, das ihnen sowieso gehört, sehe ich nicht als positive Entwicklung."
Keine Vereinigung mit Sudan
Die Nubier sind nicht die einzige Minderheit in Ägypten, die sich von der Regierung vernachlässigt fühlt. Auf der Sinaihalbinsel zum Beispie, wurden in den vergangenen Jahrzehnten die dort lebenden Beduinen als Bürger zweiter Klasse behandelt: Landbesitz war ihnen verboten, der Zugang zu Regierungsposten verwehrt und von der Tourismusindustrie im Süden des Sinai waren sie weitgehend ausgeschlossen. Die Aufstände lokaler Beduinen begannen 2011, drei Jahre später schloss sich eine Gruppe offiziell dem Islamischen Staat an. Bis heute hat die Regierung die Lage am Sinai nicht unter Kontrolle. Natürlich muss differenziert werden. Die Situation auf der Sinaihalbinsel ist eine andere als im Süden des Landes, wo Nubier sich durch friedliche Proteste Gehör verschaffen wollen. Doch so friedlich das Auftreten nubischer Aktivisten ist, werden sie dennoch von staatlichen Medien diskreditiert, indem diese die Legitimität der Proteste herunterspielen und die Forderungen der Nubier nach Land als Separationsbewegung darstellen. "Ein autonomes Nubien oder gar eine Vereinigung mit den Nubiern im Sudan steht nicht auf der Agenda der ägyptischen Nubier", betont Fatma Emam.
Beschwerde gegen Ägypten
Ein Verhandeln mit der Regierung, die ihre Versprechungen allzu oft gebrochen habe, sei für viele Aktivisten keine Option mehr. Eine Gruppe arbeitet daher zurzeit an einer Beschwerde gegen die ägyptische Regierung, die sie in der "Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker" einreichen wollen. Doch auch ein internationaler Gerichtshof kann nichts erzwingen.
Ob das Zugehen der Regierung auf die Nubier ein erster Schritt zu einer neuen Minderheitenpolitik ist oder nur Beschwichtigungsaktion in Hinblick auf die Wahlen, wird sich zeigen. Ein halbes Jahrhundert und vier Präsidenten nach der Umsiedelung wäre es für Ägypten an der Zeit, sein Versprechen an die Nubier einzulösen.