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Nudeln aus den Ohren ziehen

Von Alexander U. Mathé

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Ein russischer Journalist widmet sich der Aufdeckung von Falschmeldungen in den Staatsmedien.


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Alexander U. Mathé

Anderen Leuten Nudeln von den Ohren zu nehmen ist an sich eine bizarre Vorstellung, die am ehesten noch das Bild von verzweifelten Müttern und verspielten Kleinkindern evoziert. Genau das hat sich aber Alexej Kowalew zur Lebensaufgabe gemacht. Der Russe hat einen Blog mit dem Namen "noodleremover" gestartet - "Nudelentferner".

Jemandem die Pasta auf die Lauscher zu geben, hat auf Russisch einen übertragenen Sinn. Es bedeutet so viel wie jemanden zu belügen, jemandem einen Bären aufzubinden. Von diesen Lügen will Kowalew seine Landsleute befreien, zumal von den Lügen der russischen Staatsmedien, die seiner Meinung nach in letzter Zeit überhandgenommen haben. "Was früher in Russland Masseninformation genannt wurde, ist nun zu Massendesinformation verkommen", sagte Kowalew im deutsch-französischen Fernsehsender Arte. Im Journalismus kennt sich Kowalew gut aus. Immerhin war er jahrelang für Ria Novosti tätig, einer der größten russischen Nachrichtenagenturen. Doch dann kamen die Ereignisse, die ihn den Job kosten sollten. Zuerst wurde in der Ukraine der russlandfreundliche Präsident Wiktor Janukowitsch gestürzt. Dann folgten die russische Intervention und die Besetzung der Krim. Wohl um eine günstige Berichterstattung zu gewährleisten, entfernten die russischen Staatsmedien in dieser Zeit alle kritischen oder oppositionell gesinnten Journalisten aus ihren Reihen, berichtet Kowalew, darunter auch ihn selber.

Daraufhin beschloss er, fürderhin die Maschinerie medialer Lenkung anzuprangern, der er selbst zum Opfer gefallen ist. Die Desinformation habe System, berichtet Kowalew. Ihm fiel auf, dass bei großen Ereignissen wie der Ukrainekrise oder dem (Bürger-)Krieg in Syrien staatliche Medien wie beispielsweise "Russia Today" als Quellen für ihre Berichte unter anderem Internetseiten angaben, die so gut wie keine Audienz haben. Solche Meldungen wurden dann von anderen Medien übernommen, so lange, bis aus einem belanglosen Bericht eine allgemeine Wahrheit wurde. Kowalew recherchierte einmal einen Fall, in dem eine belgische Seite zitiert wurde. Als er sie aufrief, existierte diese aber gar nicht mehr und der Text somit auch nicht. Eine Spur wurde jedoch hinterlassen, nämlich die Person, die diese Seite seinerzeit registrieren ließ. Das war zu Kowalews Überraschung ein russischer Staatsbürger und kein Belgier. Inzwischen ist noodleremover.news zu einer ansehlichen Sammlung kritisch-investigativen Journalismus’ geworden, die unter anderem aufgedeckt hat, dass die angeblichen sexuellen Avancen, die Ex-Premier Julia Timoschenko dem amtierenden ukrainischen Premier Arsen Jazenjuk gemacht haben soll, nie stattgefunden haben. Das Interview, auf das sich die russischen Medien berufen hatten, wurde nie geführt, wie eine Nachfrage beim zitierten Sender Radio France International ergab.

Noch ist noodleremover zwar eine One-Man-Show, doch die Zahl der Menschen, die ihm verdächtige Meldungen zur Recherche schicken, wächst täglich. Schon bald, hofft Kowalew, wird seine Seite eine dynamische Masse erreichen. "Viele Menschen fühlen sich durch meine Arbeit nicht nur angesprochen, sondern wollen dazu auch beitragen." Und das gibt Kowalew den Mut, weiterzumachen.

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