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Nuklear-Experte: "Angst ist nicht quantifizierbar"

Von Konstanze Walther

Europaarchiv

Interview mit dem heimischen Physiker Walter Kutschera. | Egal, wie sicher die Forschung ist: "AKW werden in Österreich Tabu-Thema bleiben." |
§§"Wiener Zeitung": In Frankreich gibt es rund 60 AKW, Italien hat den Wiedereinstieg in die Kernenergie beschlossen, in Österreich ist Atomkraft aber ein absolutes Tabu-Thema. Wieso? *


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WalterKutschera: Frankreich hat noch nie einen ernsten Reaktorunfall gehabt. Tschernobyl war ja im Prinzip die einzige richtige Katastrophe, wo der Reaktor explodiert ist - und auch nur wegen einer unsagbaren Verkettung menschlichen Versagens, weil dort alle Vorschriften übergangen worden sind. Außerdem wurde in Frankreich die Radioaktivität entdeckt. Atomkraft ist dort eine Industrie, die man akzeptiert. Ähnlich ist es mit Japan, das 55 AKW betreibt - trotz der schrecklichen Erfahrung mit den zwei Atombombenabwürfen am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Und in Österreich?

Hier hat man furchtbare Angst davor, und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird - unabhängig davon, ob die Angst realistisch ist, oder nicht. Wir haben keine Angst vor dem Autofahren, und trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass uns hier etwas passiert. Angst ist nicht quantifizierbar. Eine Diskussion über Atomkraft ist praktisch unmöglich. Die Bevölkerung kann offensichtlich nicht nach Wahrscheinlichkeiten leben, sonst dürfte es ja keine Raucher mehr geben. Das muss man nüchtern betrachten: Der Mensch handelt eben irrational. Ich wüsste zumindest nicht, wie man diese Angst abbauen kann.

Die Internationale Energie-Agentur hat errechnet, dass man - neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien - bis 2050 pro Jahr 32 neue AKW bauen müsste, um den CO 2-Ausstoß und den ständig steigenden Energiebedarf in den Griff zu bekommen.

Ich halte es für einen Traum, dass Kernkraft fossile Brennstoffe ersetzen kann, denn damit kann man keine Autos fahren. Mit Kernenergie erzeugt man nur Wärme und Strom. Wir werden Öl, Kohle und Erdgas weiter verbrauchen, bis sie weg sind, dann werden wir Alternativen anwenden, auch die Kernkraft. Aber nur weil fossile Brennstoffe teurer werden, werden wir zumindest in Österreich nicht umsteigen.

Obwohl Atomenergie sauber und billig ist?

Und zusätzlich eine Energiequelle, die wir ziemlich gut kennen. Atomkraft hat gegenüber Wind, Sonne und Wasser auch den Vorteil, dass sie steuerbar ist. Außerdem entwickeln sich AKW auch puncto Sicherheit immer weiter, die Forschung steht nicht still.

Allerdings wird natürlich nicht mehr mit dem Elan geforscht wie früher: Vor 40 Jahren hieß es noch "Atom for Peace", um die Kernenergie nutzbar zu machen. Aber die menschlichen Fehler in Tschernobyl haben das Ganze eingebremst.

Sehen Sie Energie-Alternativen zu Atomkraft?

Wasserkraft ist sicher die beste Möglichkeit, aber es verfügen nicht alle Länder über ausreichend Wasser. Und selbst in Österreich wird Strom im Rahmen des europäischen Verbundes importiert, und der kann auch zu einem großen Teil aus Tschechien kommen - das AKW Temelin produziert mehr Strom, als das Land verbraucht. Österreich ist umgeben von Kernkraft-Ländern mit der Ausnahme Italien, das bisher den Atomstrom überwiegend aus Frankreich zugekauft hat.

Anderes Argument: AKW werden auch als Risiko-Faktor bei potenziellen Terror-Angriffen gesehen.

Naja, wenn man eine Atombombe darüber abwirft, dann bringt man ein AKW wahrscheinlich zum Explodieren. Aber ansonsten sind diese Kraftwerke die stabilsten Gebäude, die wir bauen. Der neue Forschungsreaktor in München wurde etwa so gebaut, dass er einen Jumbo-Jet-Absturz aushalten würde.

Zur Person: Professor Walter Kutschera ist Leiter des Instituts für Nukleare Physik der Universität Wien und war davor unter anderem in Tokyo, Deutschland, den USA und Israel als Forscher und Lehrbeauftragter tätig.