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"Nukleare Option" gezündet

Von Alexander Dworzak

Politik

Republikaner im US-Senat können Neil Gorsuch mit einfacher Mehrheit zum Höchstrichter wählen.


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Washington/Wien. Jeff Merkley schrieb diese Woche US-Parlamentsgeschichte: 15 Stunden redete der Senator aus dem Bundesstaat Oregon gegen die Ernennung von Neil Gorsuch als Richter am Supreme Court an. Seine Rede reiht sich damit unter die zehn längsten seit dem Jahr 1900 ein. Lediglich einmal wurde Merkley unterbrochen, und zwar aufgrund einer Frage eines demokratischen Kollegen. Als Merkley vom Podium trat, reichte er dem Personal im Senat Bagels, Muffins und Kaffee. Mit vollem körperlichem Einsatz leisteten also Merkleys Demokraten Widerstand gegen den von Präsident Donald Trump vorgeschlagenen Kandidaten für das oberste Gericht der Vereinigten Staaten. Zum Ziel führte die Abstimmungs-Verhinderungstaktik der Dauerreden, dem sogenannten Filibustern, trotzdem nicht.

Änderungen von den Demokraten möglich gemacht

Denn der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, griff am Donnerstag in die Zauberkiste der Geschäftsordnung. Diese wurde insofern geändert, als dass das Filibustern für die Ernennung von Höchstrichtern verboten wurde. Dafür reicht lediglich eine einfache Mehrheit aus. Prompt genügen auch die 52 Stimmen der Republikaner gegenüber den 48 der Demokraten im Senat, um Gorsuch zu wählen - und nicht wie bisher 60 Abgeordnete. Möglich gemacht haben diesen Trick ausgerechnet die Demokraten 2013, als sie die Geschäftsordnung änderten.

Als "nukleare Option" wird das nunmehrige Vorgehen in Washington bezeichnet, bedeutet es doch einen Bruch mit der parlamentarischen Praxis. Trump selbst hatte immer wieder zur "nukleare Option" gedrängt. Mit der nun beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung ist der Präsident seinem Ziel ganz nahe. Gorsuchs Wahl ist für den heutigen Freitag angesetzt.

Dass die Republikaner nicht von Gorsuch abgehen, zeigte sich bereits Anfang der Woche. Der Senats-Justizausschuss stimmte mit elf zu neun Stimmen für die Bestätigung des 49-Jährigen. Alle elf Republikaner votierten für, sämtliche neun Demokraten gegen Gorsuch. Doch im 100-köpfigen Plenum des Senats hätte der Kandidat unter den bisherigen Abstimmungsumständen auch acht demokratische Stimmen benötigt.

Seit Anfang Februar, als Trump Gorsuch als Kandidaten vorschlug, haben der Präsident und die Republikaner im Senat fieberhaft nach Abweichlern bei den Demokraten gesucht. Die zeigten den Konservativen jedoch die kalte Schulter. Zu tief saß die Enttäuschung aus dem vergangenen Jahr: Im Februar 2016 verstarb Höchstrichter Antonin Scalia bei einem Jagdausflug. Der damalige Präsident Barack Obama war also am Zug, einen neuen Richter für den Supreme Court zu nominieren. Die Republikaner blockten aber entgegen den Usancen ab, wollten eine Ernennung vor der Präsidentenwahl im November verhindern. Die Taktik ging auf, Trump zog ins Weiße Haus ein. "Sie haben uns den Richterposten gestohlen", wetterten daraufhin die Demokraten.

"Gesetze anwenden,nicht verändern"

Trump dachte nie daran, einen Konsenskandidaten zu nominieren. Er hatte bereits im Wahlkampf klargemacht, dass es ein strammer Konservativer werden würde. Das hat mit der Befriedung der Basis zu tun, aber auch mit ideologisch adäquatem Ersatz für den verstorbenen Scalia. Im neunköpfigen Gremium war er der am weitesten rechts stehende Richter. Vier weitere Mitglieder des Supreme Court wurden von republikanischen Präsidenten nominiert, vier von demokratischen. Das Höchstgericht spiegelt das Bild des geteilten Landes wider, allerdings dürfen dessen Richter nicht mit Parteisoldaten verwechselt werden.

Gorsuch zählt zu den "Originalisten"; sie streben eine möglichst buchstabengetreue Interpretation der Verfassung aus dem Jahr 1787 an. "Unsere Rolle als Richter ist es, die Gesetze anzuwenden und nicht zu verändern", betont er. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien verwies auf zwei Mitentscheidungen Gorsuchs in früheren Fällen. Arbeitgeber beriefen sich dabei auf ihre Religion als Grund, warum sie nicht den vorgeschriebenen Anteil bei der Empfängnisverhütung ihrer Arbeitnehmer bezahlen wollen.

Mit 49 Jahren ist Gorsuch das jüngste Mitglied des Supreme Court. Dessen Richter sind auf Lebenszeit bestellt, Gorsuch könnte dem Gericht somit über Jahrzehnte angehören - und konservative gesellschaftspolitische Weichenstellungen mittreffen. Denn zwei von den Demokraten nominierte Richter sind bereits um die 80 Jahre alt, ebenso ein republikanischer Zentrist. In Trumps Amtszeit(en) könnte sich das Gewicht im Supreme Court von 5:4 für die Republikaner vor dem Tod Scalias auf 7:2 zugunsten der Konservativen verschieben.