Merkel will erneuerbare Energie und Kernkraft trennen. | Gusenbauer: Frankreichs Weg "völlig falsch". | Brüssel. Erneuerbare Energien und Atomkraft dürften nicht in einen Topf geworfen werden. Dies erklärte die deutsche Bundeskanzlerin und amtierende EU-Vorsitzende Angela Merkel zum Auftakt des EU-Gipfels gestern, Donnerstag. Genau das strebt der französische Präsident Jacques Chirac aber mit Unterstützung einiger Mitgliedsstaaten in Zentral- und Osteuropa aber an.
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Der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer erteilte der Kernenergie bei seinem ersten EU-Gipfel eine klare Absage: "Es wäre absurd, die Atomenergie als grüne Energie darzustellen", sagte er. Die Fragen der Endlagerung seien nach wie vor ungeklärt und es gebe nach wie vor Sicherheitsprobleme. Der französische Vorschlag, ein gemeinsames Ziel für erneuerbare Energien und Atomenergie sei der "völlig falsche Weg." Er werde keine Passage in den Schlussfolgerungen dulden, die der Nuklearenergie den Rücken stärke.
Nicht nur Kostenfrage
Dem Präsidenten des europäischen Industriedachverbands Erneste-Antoine Seilliere, der verbindliche Ziele für 20 Prozent erneuerbare Energien bis 2020 für "verrückt" erklärte, weil "niemand einen Schimmer hat, welche Kosten damit einher gehen können", konterte Merkel entschieden. Spätestens seit dem Stern-Report, der die verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels aufzeigte, sei die Frage nach den Kosten alleine nicht die richtige, sagte sie. Mit Blick auf die nächsten 20 oder 50 Jahre "müsse" in die erneuerbare Energie investiert werden.
Unterdessen ist die Atomkraft in Europa aber längst auf dem Vormarsch. In Frankreich, Finnland gehen in den nächsten fünf Jahren neue Kernkraftwerke ans Netz. Die Niederlande und Ungarn haben beschlossen, ihre Atommeiler jeweils weitere 20 Jahre in Betrieb zu lassen.
Der bulgarische Regierungschef Sergej Stanischew bekräftigte einmal mehr den Atomkurs seines Landes: "Wir werden am Einsatz von Kernkraft festhalten und diesen weiterentwickeln." "Viele Vorurteile" gegenüber der Atomkraft rührten noch von älteren Technologien. Bulgarien hat erst Ende letzten Jahres einen Vertrag mit der russischen Firma Atomstroyexport für den Bau eines neuen Kernkraftwerks unterschrieben. Litauen, Estland, Lettland und Polen bauen an einem gemeinsamen Reaktor im litauischen Ignalina. Dort ist vorerst noch der letzte Reaktor vom sowjetischen Tschernobyl-Typ innerhalb der EU in Betrieb. Sein Land brauche die Atomkraft für die Energie- und damit die politische Unabhängigkeit, erklärte der litauische Präsident Valdas Adamkus.
Problem Endlagerung?
Der Generaldirektor des Atomenergiedachverbands Foratom kann die österreichischen Bedenken nicht teilen. Für die Endlagerung des nuklearen Abfalls gebe es "erwiesener Maßen sichere Methoden", sagte Santiago San Antonio zur "Wiener Zeitung". Es liege allein an der Politik, diese auch per Gesetz zur Anwendung zu bringen. Etwa in Finnland oder den USA gebe es da keinerlei Probleme.
Gegen die Angst vor den verheerenden Folgen schwerer Atomunfälle empfiehlt San Antonio die "objektive Information" der Bevölkerung. "Kernkraftwerke sind sicher, wenn sie sicher betrieben werden." Und das sei logischerweise das "erste Interesse der Eigentümer" der Kraftwerke. Ansonsten werde es von den nationalen Regulierungsbehörden geschlossen.
Atomkraftwerke seien neben Flugzeugen der "am meisten regulierte Bereich der Welt". Deshalb bereite ihm die fortwährende Verlängerung der Nutzung von alten Atommeilern ebenso wenig Sorge wie das Setzen Bulgariens auf russische Technologie. "Ich vertraue nicht der Technologie. Ich vertraue den Regulatoren", sagte San Antonio.