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Neu Delhi. Indiens Premierminister Manmohan Singh ist eigentlich ein Mann der sanften Töne. Doch in diesen Tagen wirbt er mit starken Worte für den neuen indisch-amerikanischen Nuklearvertrag. Indien dürfe die "Renaissance der Atomkraft" nicht verpassen, mahnt er. Was der Premier für die Schicksalsfrage der Nation hält, könnte schnell zur Schicksalsfrage seiner Regierung werden.
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Denn die Kommunisten, auf deren Stimmen die Regierungskoalition in Neu Delhi angewiesen ist, sperren sich gegen den Pakt und drohen, Singh ihre Unterstützung zu entziehen. Nun mehren sich die Zeichen für vorgezogene Neuwahlen.
Eigentlich stehen die nächsten Wahlen in Indien erst im Sommer 2009 an. Doch die Regierung steckt wegen des Atomstreits in der schwersten Krise ihrer Amtszeit. Denn während Singh für ein strahlendes Indien mit Atomstrom wirbt, sind die Kommunisten (CPM) im Land unterwegs, um Stimmung gegen den Deal und die regierende Kongresspartei zu machen. Die strategische Annäherung Indiens an die USA ist ihnen schon seit längerem ein Dorn im Auge. CPM-Generalsekretär Prakash Karat verlangt nun von den Regierung, den Vertrag für sechs Monate auf Eis zu legen. "Wir werden der Regierung nicht helfen, den Vertrag abzuschließen", droht Karat offen. "Der Pakt ist ein Angriff auf unsere Souveränität und die Unabhängigkeit unserer Außenpolitik".
Sieben neue Atomkraftwerke im Bau
Das energiehungrige Indien betreibt zur Zeit 16 Atomkraftwerke, sieben weitere sind im Bau. Doch es verfügt nicht einmal über genug Uran für seine laufenden Meiler. Weil das Land Atomwaffen getestet hat, ohne den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen und sich so zur Nichtverbreitung von nuklearen Waffen zu verpflichten, ist es seit mehr als drei Jahrzehnten international größtenteils vom Handel mit Atomtechnologie und Nuklearbrennstoffen ausgeschlossen.
Die atomare Quarantäne könnte nun ein Ende haben. Das umstrittene Abkommen über atomare Zusammenarbeit mit den USA würde Indiens Versorgung mit nuklearen Brennstoffen für die nächsten 40 Jahre sichern, ohne dass das Land dafür im Gegenzug den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen muss. Zudem ermöglicht es dem Land, einen strategischen Vorrat an Brennstoffen zu halten.
Außerdem räumt der Deal Indien die Möglichkeit ein, Nuklearbrennstoffe aus den USA in einer speziellen Aufbereitungsanlage unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) wieder zu verarbeiten. Eine delikate Angelegenheit, denn bei dem Prozess wird unverbrauchtes Uran, aber auch waffenfähiges Plutonium freigesetzt. Dieses Privileg hat die USA bislang lediglich der Europäischen Union, der Schweiz und Japan eingeräumt. Doch während die Befürworter den Vertrag als diplomatischen Triumph Indiens feiern, sehen seine Gegner darin einen Ausverkauf nationaler Interessen.
Der Widerstand der Kommunisten gegen den atomaren Frühling zwischen Washington und Delhi bringt Premierminister Singh in eine schwierige Lage. Der Deal mit den USA ist fertig ausgehandelt, Nachbesserungen, wie sie seine Gegner fordern, sind kaum realistisch. Der Regierung bleibt wenig Spielraum.
Neuwahlen stehen im Raum
Knickt Singh vor den Kommunisten ein, ist er international blamiert. Vermutlich müsste er dann zurücktreten, weil er sonst bis zum Ende seiner Amtszeit politisch kaum mehr einen Stich machen könnte. Falls die Kommunisten ihm aus Protest gegen den Vertrag ihre Unterstützung aufkündigen, könnte es zu Neuwahlen kommen. Vielleicht könnte Singh sich notfalls mit seiner Minderheitenregierung über Wasser halten, allerdings wäre fraglich, wie lange.
Dass die Kongresspartei inzwischen wieder fest ins sozialpolitische Füllhorn greift und mit Geschenken lockt, sehen viele als Zeichen dafür, dass Neuwahlen anstehen.