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Brüssel/Wien - Noch wurde heftig über den ersten Teil des Entwurfs zur europäischen Verfassung diskutiert, der am Montag vorgelegt worden war, schon sorgte der zweite Teil, der Dienstag präsentiert wurde, für Aufregung: Umweltschützer und österreichische Parlamentarier stoßen sich an der möglichen Fortschreibung der europäischen Atompolitik.
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Die heimische Opposition ortet in dem Vorschlag von EU-Konventspräsident Giscard d'Estaing die Absicht, die Förderung der Atomenergie weiter festzuschreiben. Für die SPÖ forderten Umweltsprecherin Ulli Sima und Europaabgeordente Maria Berger, für die Grünen Umweltsprecherin Eva Glawischnig die Bundesregierung auf, dagegen zu agieren.
Das Umweltministerium konterte, Österreich habe bereits "eine Vielzahl von Initiativen" zur Reform des Euratom-Vertrages gesetzt. Eine Verankerung in der Verfassung sei notwendig, um die Zuständigkeit des EU-Parlamentes für Euratom sicherzustellen. Der Euratom-Vertrag, seit 1957 in Kraft, beschreibt die Kernenergie als "unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt".
Diese Regelungen sind laut Global 2000 "veraltet, wettbewerbsverzerrend, undemokratisch" und müssten spätestens 2007 auslaufen. Auf keinen Fall dürften sie in die Verfassung übernommen werden. Dagegen protestierten am Dienstag auch AktivistInnen vor dem Parlament in Brüssel.
An einer Nebenfront im Atomstreit gab es am Dienstag Entspannung: Der tschechische Vizepremier Petr Mares erklärte, sein Land plane keine Erweiterung des AKW Temelin. Die Aussage von Industrieminister Urban, zwei weitere Reaktorblöcke bauen zu wollen, sei lediglich seine Meinung.
Konvent-Mitglieder wehren sich gegen Präsidium
Bereits das Zustandekommen des ersten Entwurf-Teils, mit den umstrittenen Forderungen Giscards nach einem fixen EU-Ratspräsidenten, hat zu schweren Spannungen im EU-Konvent geführt. Der deutsche Europaabgeordnete Elmar Brok warf dem Präsidium vor, die Konventsmehrheit zu übergehen. Stattdessen würden einseitig die Interessen der großen Länder Großbritannien, Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich und Polen vertreten. Die Europaminister der drei letzt genannten Staaten haben sich Montag auf die Unterstützung der Giscard-Vorschläge zur Institutionenreform geeinigt.
Diese wurden völlig unverändert in den Montag vorgelegten Entwurf übernommen, obwohl gerade diese Punkte, inklusive dem Ratspräsidenten, von den kleineren EU-Mitgliedern heftig attackiert worden war. Weil die Gegensätze im Konvent dabei so groß seien, sei dies aber nur eine "provisorische Lösung", versuchten Sprecher von Konvent und Kommission zu beruhigen. Zu den heiklen Punkten gehört auch die Schaffung eines EU-Kongresses, einer Zusammenkunft von Vertretern der nationalen Parlamente, den außer Giscard niemand wolle, erläuterte Brok.
Gleichfalls umstritten ist die Ausrichtung des Stimmrechtes im EU-Rat an der Bevölkerungszahl. Hier legt sich vor allem Spanien quer. Außerdem sei die Wirtschafts- und Währungsunion aus der Verfassung entfernt worde, der Euro als Gemeinschaftswährung käme ebenso wenig vor wie die Frage der Preisstabilität.
Der EU-Konvent drohe sich selber in die Luft zu sprengen, folgerte Brok. Die Entschärfung der Bombe soll ohne das Präsidium erfolgen: Vor der nächsten Sitzung des 105-köpfigen Gremiums am 30. und 31. Mai wollen sich am Donnerstag abend Vertreter aller Parlamentsfraktionen treffen und versuchen, sich auf dieser Ebene zu einigen.