Langwierige Polit-Blockaden und Untätigkeit kann sich Italien nicht leisten.
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Rom/Brüssel. Ach, könnten Sparzwänge doch einfach abgewählt werden. Italiens Realität ist leider eine andere. Erdrückende Altlasten, minimaler Budget-Spielraum, kein Wachstum: Der künftige Regierungschef - sofern denn einer gefunden wird - wird erkennen müssen, dass ihm enge Fesseln angelegt sind. Kein Premier in Rom wird daran vorbeikommen, diese Wahrheit auch den Wählern von "Vaffanculo" (Grillo) und "Bunga-Bunga" (Berlusconi) zuzumuten.
Italien braucht dringend Wachstum, da haben Kommentatoren wie der linke US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman völlig recht. Das Problem: Die Wirtschaftsleistung ist schon vor der Krise praktisch nicht gestiegen (siehe Grafik).
Wachstum kann man weder per Dekret verordnen, noch herbeizaubern. Im Falle Italiens ist sogar fraglich, ob es sich einstellen würde, wenn aus einer wundersamen Finanzquelle Billionen Euro über dem Land ausgeschüttet würden. Schuld an der hartnäckigen Schockstarre sind nämlich so genannte strukturelle Gründe: hohe Altlasten des Staates, eine wirtschaftsfeindliche Bürokratie, ein Arbeitsmarkt, der Ältere schützt und Junge ausschließt, und ein Steuersystem, das es unattraktiv macht, zu investieren.
Private Haushalte sind reich
Dabei wäre das Land durchaus wohlhabend: Die privaten Haushalte haben viel Geld auf der hohen Kante, sie sind so wenig verschuldet wie in kaum einem anderen Euroland. Ungeachtet seiner hohen Schuldenlast von 126 Prozent der Wirtschaftsleistung verfügt auch der Staat über immense Besitztümer und Währungsreserven.
Der Schuldenberg, der seit Jahrzehnten mitgeschleppt wird, hängt Italien aber wie ein Klotz am Bein: Allein die Zinskosten fressen 80 bis 100 Milliarden Euro des jährlichen Budgets auf. Kein Wunder, dass die Märkte da zweifeln, ob Italien seine Schulden auf Dauer zurückzahlen kann und besonders sensibel reagieren - womit sie die Finanzsorgen verschärfen, indem sie die Zinsen steigen lassen (siehe Grafik). Zu einer glaubwürdigen Sanierung der Finanzen, die den Schuldenberg zumindest nicht weiter anwachsen lässt, gibt es kaum eine Alternative.
Vor einigen Wochen musste der Internationale Währungsfonds (IWF) einräumen, die negativen Folgen der Sparpolitik unterschätzt zu haben. IWF-Ökonom Olivier Blanchard wurde daraufhin gefragt, ob folglich Italiens Zwangsjacke gelockert werden sollte. Seine Antwort: "Wichtig ist nicht so sehr, dass bestimmte Zahlenwerte erreicht werden, sondern dass an den strukturellen Zielen festgehalten wird. Italien gehört zu den Ländern, die bei der Konsolidierung kaum eine Wahl haben."
Wachstum kann sich nur einstellen, wenn Unternehmen Zukunftschancen sehen. Italiens Exporte sind stark diversifiziert und in ihrer Vielfalt sogar breiter aufgestellt als ihr deutsches Pendant - sie hängen aber viel stärker von schwächelnden europäischen Märkten ab. Und: Italien schneidet katastrophal ab, wenn es darum geht, Firmen und ihre Geschäfte zu fördern. Daran sind nicht allein die Mafia und korrupte Politiker schuld: Auf der Weltbank-Rangliste jener Länder, die es Unternehmen leicht machen ("Doing Business"), landet Italien auf dem desaströsen Platz 73. Bei der Einhaltung von Verträgen reicht es gar nur zu Platz 160 - direkt vor Dschibuti und der Republik Kongo.
Montis "goldene Regel"
In den 14 Monaten seiner Regierung hatte Mario Monti etliche Strukturreformen begonnen, um mehr Wettbewerb zuzulassen, abgeschottete Sektoren zu öffnen und das Arbeitsrecht flexibler zu machen. Über fünf Jahre könnte das der Wirtschaftsleistung einen Schub von 5,75 Prozent verpassen, berechneten Experten des IWF. Die Antwort in Italien waren aber Streiks und Proteste gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes.
Der Ruf des Über-Sparmeisters oder gar eines "von Deutschland installierten Prokonsuls" (Krugman) wurde Monti zu Unrecht verpasst - er könnte sogar als Erfinder einer wachstumsfreundlichen Konsolidierung gelten. Schon lange vor der Krise plädierte Monti für die "goldene Finanzierungsregel". Demnach dürften öffentliche Investitionen, die Gewinn für künftige Generationen abwerfen, über Schulden finanziert werden. Laufende Ausgaben müssten hingegen mit Steuereinnahmen gedeckt sein.
Die Chance, das als Wachstumskonzept für Italien umzusetzen, bleibt Monti wohl verwehrt. Ob sein Nachfolger einen Kurswechsel vornehmen kann, ist aber fraglich. "Je länger Reformen verzögert werden, umso höher wird am Ende die Rechnung für die Italiener ausfallen", warnte EU-Kommissionssprecher Olivier Bailly am Dienstag. Die Kommission mag nicht immer der beste Ratgeber sein. In diesem Fall hat sie recht.