Was bringt das Flüchtlingsmatch Realität gegen Moral?
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Wirklich skandalös war der Satz der Innenministerin. Gefragt, wie sie etwas beschließen könne, was alle befragten Juristen als illegal bewerten, blaffte Sie den Moderator an: "Sie haben die falschen Juristen gefragt!" Die falschen. Ein Satz, der Bände spricht. Deutlicher kann eine Amtsinhaberin nicht sagen, was Sie von Demokratie hält: Gewaltentrennung funktioniert dann, wenn man die "richtigen" Juristen findet. Und richtig sind jene, die das Vorgehen der Regierung nachträglich legalisieren. Experten sind also erst dann solche, wenn sie bestätigen, was man erwartet. Deren Objektivität ist erst dann eine solche, wenn sie genehm ist.
Ebenso verhält es sich mit der angeblichen Faktizität, die sich nun, endlich, nach den langen Monaten der Verwirrung, durchgesetzt haben soll. Diese Realität setzt sich nicht nur gegen die falschen Juristen durch - also gegen jene, die meinen, die Genfer Flüchtlingskonvention sei bindend. Diese Realität habe sich nun endlich auch gegen die Moral durchgesetzt: eindeutige Realität gegen blinde Moral. Als ob jene objektiv wäre. Als ob sie kein Gefühl wäre. Eine gefühlte Realität. Eine gefühlte Faktizität. Eine gefühlte Unsicherheit. Nun also eine gefühlte Obergrenze. "Ober meiner, unter meiner siach i nix."
Diese gefühlte Lösung ist genau das - der Schein einer Lösung. Denn sie gibt vor, man könne so der Situation beikommen. Mit einer Zahl. Die Einzigen, denen sie hilft, die Obergrenze, das sind die Politiker. Sie verhilft ihnen zu dem, was sie verloren haben in dieser Situation - ihre Handlungsfähigkeit. Ihre vermeintliche Handlungsfähigkeit. Wenn es jetzt allenthalben heißt, die Obergrenze sei ein Fetisch, dann ist das wörtlich zu nehmen: ein Ersatzobjekt, das die Impotenz verdeckt. Ein Ersatzobjekt, an das man glaubt, um die Impotenz verneinen zu können. Ein Ersatzobjekt, das vorgibt, das Heft des Handelns wiederzugewinnen.
Dabei ist es nur zu verständlich, dass dieses verloren ging. Es ist verständlich, dass jene, die den offiziellen Handlungsauftrag haben, überfordert sind von der Dynamik der Situation. So aber ist Sigmar Gabriels Interpretation des Vorgehens der österreichischen Regierung noch die wohlwollendste: ein Hilferuf. Ein Hilferuf an Europa.
Aber so zu tun, als sei das wirkliches Handeln - das ist Simulation. Es ist eine Simulation von Handeln, weil es vorgibt, die Situation ließe sich dieser Art tatsächlich bewältigen. Als ließe sich die Zahl tatsächlich begrenzen. Aber Simulation wird zur Realität in der Politik. Zur politischen Realität. Sie verändert die politische Situation in Europa. Jenes gespaltene Europa, das nun ein Stück "vereinter" ist, "vereint" im Abschließen - statt in der Solidarität einer gemeinsamen Lösung. Es verändert die Situation in Deutschland, das Verhältnis von CDU-CSU. Die Situation von Angela Merkel. Politisch erzeugt die Simulation Wirkungen.
In Bezug auf die Flüchtlinge aber bleibt die Simulation eine Simulation. Ein Abstraktum. Sie tut so, als könne sie das Chaos einfangen. Was soll das dann ergeben an den Grenzen? Lager? Schießbefehle? "Hinter meiner, vorder meiner, links rechts, güt’s nix."
Wenn die Grenze nicht funktioniert, dann kommt die Obergrenze. Als ob man sie damit wieder einfangen könnte. Die Grenze.