In Myanmar geht das Militär weiter mit erbarmungsloser Gewalt gegen Putschgegner vor, die zivilen Ungehorsam leisten und eine Parallelregierung gebildet haben. Manche Demokratieaktivisten wollen nun aber auch zur Waffe greifen.
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"Sie schießen in den Kopf und wissen nicht, dass wir die Revolutionen im Herzen tragen." Mit diesen Versen kommentierte der Dichter Khat Thi die blutige Niederschlagung der Proteste gegen den Militärputsch in Myanmar. Der 44-Jährige war zum Ingenieur ausgebildet worden, entschied sich dann aber Dichter zu werden und finanzierte sein Schreiben durch den Verkauf von Eis und Kuchen. Ende vergangener Woche ist Khat Thi offenbar von der Militärjunta ermordet worden.
Nachdem ihr Mann zu einem Verhör abgeholt worden war, sei sie informiert worden, dass sie ins Krankenhaus kommen solle, berichtete die Frau von Khat Thi. Dort habe sie dann ihren toten Mann vorgefunden, wobei diesem laut ihrer Aussage auch seine inneren Organe entnommen worden seien.
Diese Episode unterstreicht, wie erbarmungslos die Armee seit ihrem Putsch Anfang Februar ihre politischen Gegner verfolgt. Laut der Menschenrechtsorganisation "Vereinigung für politische Gefangene", die die Lage in Myanmar möglichst genau zu dokumentieren versucht, sind -Stand Freitag - seit dem Staatsstreich 788 Gegner der Junta ermordet worden, 3.936 sind inhaftiert.
Die Strategie des Militärs: Suu Kyi aus dem Spiel nehmen
Der Putsch war die Antwort des Militärs auf den klaren Wahlsieg seiner größten Gegenspielerin Aung San Suu Kyi, deren Nationale Liga für Demokratie (NLD) eine klare Mehrheit der Parlamentssitze erobert hatte. Für den Staatsstreich gibt es außerhalb der Armee ",überhaupt keine Unterstützung", erklärt der Politologe und Myanmar-Experte Marco Bünte von der Universität Erlangen. "Es wird als rein machtpolitischer Zug von Militärführer Mint Aung Hlain und einer kleinen Gruppe gesehen."
Noch immer ist daher trotz der Repression der Widerstand groß: In den Städten versammeln sich die Bürger weiterhin zu Demonstrationen, bei denen sogenannte Bürgerjournalisten mit ihren Handys die Übergriffe des Militärs filmen. Zahlreiche Verwaltungsbeamte verweigern ihre Arbeit, Schüler besuchen nicht ihre Klassen und an den Universitäten streiken Lehrende und Studenten. Die Reaktion der Junta: Sie zensiert die Medien und entlässt Staatsangestellte - an den Universitäten sollen es schon rund 11.000 Menschen sein.
Auch wenn das Innenleben einer derart verschlossenen Institution wie Myanmars Militär kaum zu durchschauen ist, zeichnet sich laut Bünte doch eine langfristige Strategie ab. Diese lässt sich aus der Vergangenheit und den bisherigen Verlautbarungen der Generäle herleiten.
Die Armee hat Myanmar jahrzehntelang mit eiserner Faust beherrscht und konnte dabei auch damit leben, dass das bis heute arme Land damals international isoliert war. Als die Generäle dann in den vergangenen zehn Jahren einen demokratischen Übergang zuließen, wurde die NLD, in der sich ehemalige politische Gefangene und prodemokratische Kräfte gesammelt haben, immer einflussreicher. Das will die Armee nun offenbar rückgängig machen.
Wie in der Vergangenheit verspricht sie nun Wahlen, wenn Stabilität herrscht. Wann das der Fall ist und unter welchen Bedingungen der Urnengang stattfindet, bestimmt freilich die Junta selbst. Und diesmal will die Armeeführung offenbar NLD-Führerin Suu Kyi zuvor endgültig aus dem Spiel nehmen.
Auch wenn die Friedensnobelpreisträgerin im Westen wegen ihres Schweigens zur Vertreibung der moslemischen Minderheit der Rohingya viel Ansehen verloren hat - in Myanmar ist sie für weite Teile der Bevölkerung noch immer "die geliebte Mutter der Nation, und das wird sich auch nicht ändern", sagt Bünte der "Wiener Zeitung". Seit dem Putsch wurde Suu Kyi aber nicht mehr öffentlich gesehen, sie steht nun unter Anklage. Diese wirkt derart konstruiert - unter anderem wird ihr der illegale Besitz von Funkgeräten vorgeworfen -, dass eine Verurteilung wohl schon feststeht.
Unabsehbar, wohin gewisse Dynamiken führen
"Die Blaupause, nach der das Militär handelt, ist also ersichtlich", meint Bünte. "Aber gleichzeitig sind viele Dynamiken im Gange, bei denen unabsehbar ist, wohin sie führen."
So hat die Demokratiebewegung nun eine Parallelregierung gebildet, die auch international als Ansprechpartner gelten soll. In den Städten haben sich Selbstverteidigungskräfte gebildet, die vor allem dazu dienen sollen, Demonstranten vor der Gewalt der Armee zu schützen. Immer wieder kommt es aber bereits zu kleineren Anschlägen. Wer dahinter steckt, ist oft unklar - aber die Attacken treffen sowohl Institutionen des Militärs als auch Oppositionsvertreter.
Aktivisten verbünden sich mit ethnischen Milizen
Darüber hinaus haben sich Junta-Gegner mit ethnischen Rebellen verbündet, die nun Aktivisten militärisch trainieren. Hier ist offenbar die Bildung einer Militärallianz geplant, die auch als Auffangbecken für Deserteure aus der Armee dienen soll.
Die Regimegegner schaffen somit einen Parallelstaat, der die Vision eines föderalen, demokratischen Myanmar in sich trägt und die zentralistische Militärdiktatur überwinden soll. Gleichzeitig droht das Aufeinanderprallen dieser beiden Staaten zu noch mehr Gewalt zu führen.
Milizen ethnischer Minderheiten befinden sich ohnehin bereits im bewaffneten Kampf gegen die Junta - und dieser ist durch den Putsch neu angefacht worden. In den Regionen der Karen, Kachin und Chin haben die Gefechte zugenommen. Bei den Demokratieaktivisten wiederum wachsen mit jedem getöteten Demonstranten Wut und Verzweiflung.
Er sei ein Mann, der Kuchen bäckt, Gedichte verfasst und Gitarre spielt und keiner, der mit Waffen umgehen könne, schrieb Khat Thi in einer seiner letzten Zeilen. Um dann fortzufahren: "Aber meine Leute werden erschossen, und ich kann nur mit Gedichten antworten. Wenn du dir sicher bist, dass es nicht ausreicht, die Stimme zu erheben, musst du, mit Bedacht, zur Waffe greifen. Ich werde schießen."