ÖVP-Vorstand mit etlichen handfesten Überraschungen. | Grasser geht, Hahn und Kdolsky kommen. | Platter wird Innenminister. | Wien. "Jö schau, heut hamma full house." Wirklich überrascht konnte Noch Bundeskanzler ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel ob der geballten Medienpräsenz in der Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse aber natürlich nicht sein. Dutzende Journalisten drängten sich am Dienstag in den viel zu kleinen Vorraum, um die personellen Weichenstellungen des künftigen Juniorpartners in der großen Koalition live zu erfahren.
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Und die scheinen, glaubt man den wild kursierenden Gerüchten, alles andere als reibungslos verlaufen zu sein. Noch in der Nacht von Montag auf Dienstag deuteten alle Signale auf einen Verbleib von Finanzminister Karl-Heinz Grasser hin: Schüssels Drehbuch soll demnach sogar vorgesehen haben, den populären Sunnyboy auch zum Vizekanzler - und damit zum neuen starken Mann der Volkspartei - aufsteigen zu lassen. Dieses Szenario hätte Tirols ÖAAB-Obmann Günther Platter seinen Platz in der Regierung gekostet - an seiner Stelle wäre Molterer für den Posten im Innenministerium vorgesehen gewesen. Voreilige Medien verkündeten bereits am Montagabend dieses Drehbuch als Tatsache.
Nur Minister war Grasser am Ende zu wenig
Dem Plan sollen dann aber die ÖVP-Granden ihre Zustimmung verweigert haben: Ein ehemaliger Freiheitlicher und nunmehr parteifreier Minister ohne jede Verwurzelung in der Partei als de facto ÖVP-Obmann? Das war dann doch zu vielen zu viel des Neuen. Zumal sich Grasser angeblich einer persönlichen Vertrauensabstimmung im Vorstand verweigert haben soll, zu der ihn Schüssel gedrängt haben soll. Dann eben der Abschied aus der Politik. Mit den Worten "sieben Jahre in der Regierung sind genug" beendete Grasser bei seiner Ankunft in der ÖVP-Zentrale selbst alle Spekulationen über seine Zukunft.
Der Abschied Grassers sollte aber nicht die einzige Überraschung der Volkspartei bleiben: Nachdem Schüssel in gewohnt trockener Form die Beratungen im Vorstand, der den Inhalten des Arbeitsübereinkommens mit der SPÖ einstimmig seine Zustimmung erteilte, referierte, verkündete er mit den Worten "meine Arbeit ist jetzt abgeleistet" seinen Rückzug. Das habe er, Schüssel, so "mit meinem jüngeren Bruder Willi Molterer" so ausgemacht. Denn: "Wer acht Prozent bei Nationalratswahlen verliert, der muss auch die Verantwortung übernehmen." Molterer selbst rückt vom geschäftsführenden Klubobmann "ab sofort" zum geschäftsführenden Parteiobmann auf. Beim für April anstehenden regulären Parteitag soll diese Entscheidung per Delegiertenvotum definitiv gestellt werden. Die Frage, ob er auch als Spitzenkandidat bei den kommenden Wahlen antreten wolle, ließ Molterer allerdings offen. Das werde zu gegebener Zeit entschieden werden, beschied er den neugierigen Journalisten. Für diese Rolle wird ja immer wieder auch der Name Josef Pröll genannt.
Schüssel will vier Jahre bleiben
Damit hätte die politische Karriere des Wolfgang Schüssel um exakt 12 Uhr 10 am 9. Jänner 2007 zu Ende sein können - war sie dann aber doch nicht. Denn der abtretende Kanzler wechselt - auf Bitten Molterers - auf den Posten des Klubobmanns im Nationalrat - einen Job, den er ohnehin seit der konstituierenden Sitzung nach dem 1. Oktober nominell ausübt. Schüssel selbst erklärte - "wenn ich gesund bleibe" -, die neue Funktion bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben zu wollen. Einen prädestinierten Nachfolger gibt es jedenfalls nicht: Die im Vorfeld kursierende Variante, dass der Generalsekretär des Wirtschaftsbundes Karlheinz Kopf an der Seite Schüssels zum geschäftsführenden Klubobmann aufrücken könnte, bestand den Realitätstest jedenfalls nicht.
Dann war die Reihe am designierten Parteichef, sein künftiges Regierungsteam zu präsentieren - und auch dieser Programmpunkt wies zwei handfeste Überraschungen auf: Johannes Hahn Wiens liberaler ÖVP-Chef mit Spitznamen "Gio", steigt zum neuen Wissenschafts- und Forschungsminister auf. Das Amt der Gesundheitsministerin übernimmt die Geschäftsführerin der NÖ-Landesspitalsholding Andrea Kdolsky von Maria Rauch-Kallat. Über den Aufstieg von Generalsekretär Reinhold Lopatka zum Sport-Staatssekretär war bereits zuvor gemunkelt worden.
Die weiteren Gesichter im ÖVP-Ministerteam sind alte Bekannte: Josef Pröll bleibt Minister für Umwelt und Landwirtschaft; zusätzlich übernimmt er die Aufgaben eines schwarzen Regierungskoordinators. Das Ressort Wirtschaft und Arbeit wird weiterhin von Martin Bartenstein geführt, Äußeres bleibt Sache von Ursula Plassnik Günther Platter wechselt vom Landesverteidigungsins Innenministerium. Wer die beiden weiteren Staatssekretäre, die der ÖVP zustehen, und für welche Materien diese zuständig sein werden, blieb am Dienstag weiter offen. Gegen dieses Paket gab es im Vorstand zwei Gegenstimmen: Die beiden Salzburger Wilfried Haslauer und Ludwig Bieringer vermissten einen Landsmann oder -frau.
Damit steht auch fest, wer künftig nicht mehr mitregieren darf: Schüssel und Molterer dankten den abtretenden Ministern Karl-Heinz Grasser, Elisabeth Gehrer und Maria Rauch-Kallat sowie den Staatssekretären Franz Morak (Kunst), Helmut Kukacka (Verkehr) und Alfred Finz (Finanzen) für ihr Engagement in den vergangenen Jahren.
+++ Reaktionen auf den ÖVP-Vorstand:
Kritik an der Kür von Wilhelm Molterer kam von der Opposition: Grünen-Geschäftsführerin Michaela Sburny und BZÖ-Chef Peter Westenthaler befanden, der schwarze Vizekanzler und Neo-Parteichef sei kein Zeichen für eine Erneuerung. FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache meinte, der "FPÖ-Hasser" Molterer sei immerhin "Garant für launige Unterhaltung im Parlament". Seine politische Arbeit sei von Langeweile und Ermüdung geprägt.
Positiver naturgemäß die internen Reaktionen: So begrüßte Oberösterreichs Landeschef Josef Pühringer die Kür seines Landsmannes. Und auch Bauernbund-Chef Fritz Grillitsch bekundete "volle Unterstützung" für den Bauernbündler und früheren Landwirtschaftsminister.
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