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Nur auf dem Werftgelände vereint

Von Martyna Czarnowska

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30 Jahre nach der Gründung der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc sind die einstigen Aktivisten sowohl in der polnischen Regierung als auch in der Opposition vertreten.


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Nicht viel ist mir aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben. Ich war noch klein, ging noch nicht einmal in die Schule. Aber ich kann mich an dieses Telefonat mit meinem Vater erinnern. Damals, 1980, wohnten wir in Thorn, im Norden Polens. Im vielen Städten, nicht nur in Danzig, wurde gestreikt. Was das bedeutete, war mir nicht ganz klar. Ich merkte nur, dass mein Vater nicht zu Hause war, vielleicht schon seit Tagen. Und als es meiner Mutter endlich gelang, mit ihm zu telefonieren, fragte ich ihn: "Werde ich dich wiedersehen?"

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Was konnte ein Kind schon wissen? Was konnte es begreifen von den Vorgängen, die ein Jahrzehnt später zum Zusammenbruch eines politischen Systems beigetragen haben werden? Doch selbst für ein Kind war zu spüren, dass etwas Ungewöhnliches in der Luft hing, eine nervöse flirrende Atmosphäre.

Ende der 70er-Jahre ist die staatlich gelenkte Wirtschaft Polens immer schwächer, 1980 steht sie vor einem neuerlichen Einbruch. Im Juli beschließt das Politbüro der Arbeiterpartei, die Preise für Fleisch und Wurstwaren anzuheben. Im ostpolnischen Lublin reagieren Arbeiter mit einem Streik.

Mitte August fangen die Arbeiter der Danziger Werft zu streiken an. Sie setzen sich für die Wiedereinstellung der entlassenen Schweißerin Anna Walentynowicz und des Elektrikers Lech Walesa ein. Und sie stellen politische Forderungen: Sie verlangen das Recht auf eigenständige Gründung von Gewerkschaften, das Recht auf Streik, Meinungs- und Pressefreiheit, die Freilassung politischer Gefangener. Ebenso wünschen sie konkrete Maßnahmen, um das Land aus der Krise zu führen, Verbesserungen im Gesundheitswesen, mehr Krippen- und Kindergartenplätze oder eine Anpassung der Löhne an steigende Preise.

Die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc ist formiert. Streiks erfassen das ganze Land. Nach mehreren Wochen haben die Protestierenden der Parteiführung Zugeständnisse abgetrotzt, besiegelt in den sogenannten August-Abkommen.

Die Zeit der erkämpften Freiheiten hält für 16 Monate an. Im Dezember 1981 wird in Polen das Kriegsrecht verhängt.

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30 Jahre nach den August-Vereinbarungen und 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ist das weiß-rote Solidarnosc-Logo mit der polnischen Fahne über dem "n" noch immer häufig zu sehen. Ob Krankenschwestern für höhere Löhne streiken oder Kumpel gegen die Schließung ihres Bergwerks protestieren - die Gewerkschaft zeigt sich präsent.

Doch die Staatsmacht, gegen die sie demonstriert, ist keine Einheitspartei mehr, die von politischen und planwirtschaftlichen Direktiven aus Moskau beeinflusst wird. Es ist eine Mitte-Rechts-Regierung, deren etliche Vertreter in Zeiten des Sozialismus als Oppositionelle im Untergrund tätig waren. Und drei der vier Präsidenten, die Polen nach 1990 hatte, kamen ebenfalls aus den Reihen der Solidarnosc - wie der jetzige Staatschef Bronislaw Komorowski. Die gleiche politische Herkunft hat auch der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Jaroslaw Kaczynski.

So verlaufen die politischen Machtkämpfe nicht mehr entlang klarer Linien wie Rechte gegen Linke. Regierung wie Opposition stellen konservative Parteien, nur ist die Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk wirtschaftsliberaler. Und die Opposition wirft ihr immer wieder vor, soziale Errungenschaften zu gefährden. Von Einigkeit unter den einstigen Streikgefährten ist schon lange nichts mehr zu sehen. Doch nicht zuletzt kämpften sie auch dafür: demokratische Pluralität.