Zum Hauptinhalt springen

Nur bedingt ein eigenes Süppchen

Von Christine Zeiner

Politik

Globalisierung zwingt zu regionaler Integration. | Ausländische Investoren nach wie vor gefragt. | Wien. "Dies ist ein historischer Tag. Bolivien erhält die völlige Kontrolle unserer natürlichen Ressourcen zurück." Vor etwas mehr als einer Woche verkündete Präsident Evo Morales die Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasvorkommen seines Landes. In Peru und Ecuador wurden ähnliche Rufe laut. Als der niederländisch-britische Ölkonzern Shell vor kurzem die Kraftstoffpreise in Argentinien erhöhte, rief Präsident Néstor Kirchner zu einem Boykott der Shell-Tankstellen in seinem Land auf. Ölkonzerne, Regierungen und auch die EU-Kommission reagierten besorgt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Entwicklungen wie diese sind nicht neu. Mexiko war 1938 das erste Land jener Staaten, die später der "Dritten Welt" zugerechnet wurden, das die volle Souveränität über seine Rohstoffe erlangte. Anfang des 20. Jahrhunderts begann der erste Ölrausch. Den großen ausländischen Ölgesellschaften sollte der Reichtum nicht überlassen werden, meinte Präsident Lázaro Cárdenas - einer der ersten Populisten Mittel- und Südamerikas.

Ab den 1930-er Jahren setzten lateinamerikanische Regierungen auf Verstaatlichung. Und sie verfolgten die so genannt "ISI-Strategie": Industrieimporte sollten durch im Land hergestellte Waren ersetzt werden. Gleichzeitig wurde es vernachlässigt, wettbewerbsfähige Exportsektoren zu entwickeln. So weit wie möglich schotteten sich die Länder vom Weltmarkt ab.

Ölkonzerne blieben

Von einer solchen Entwicklung sei man weit entfernt, meinen Lateinamerika-Experten im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Von einer Verstaatlichungs-welle könne keine Rede sein - in gewisser Weise mit einer Ausnahme: dem Erdöl- und Erdgassektor. Doch auch für diesen Bereich treffe der Ausdruck "Abschottung" nicht zu. "Die Bedingungen für Ölfirmen wurden beispielsweise in Venezuela schwieriger. Die Unternehmen wollen aber ein Stück vom Kuchen, und sind geblieben", sagt Ehsan Ul-Haq von der internationalen Ölberatungsfirma PVM. Demnächst wird auf sie - darunter BP, Exxon und ConocoPhilips - eine Steuererhöhung zukommen. Venezuelas Präsident Hugo Chávez will etwa die Royaltytax (Nutzungsgebühr) von 16,6 auf 33,3 Prozent anheben. "Es ist alles relativ", kommentiert Ul-Haq das Vorhaben. Im Nahen Osten hätten es ausländische Unternehmen noch schwieriger.

Ob die Suppe so heiß gegessen, wie sie gekocht wird, ist auch für Bolivien fraglich. Die Gas- und Ölvorkommen wurden zwar verstaatlicht, die Bedingungen etwa für ausländische Unternehmen sind aber noch nicht bekannt. Zwei Tage nach der Bekanntgabe schüttelten Morales und Antonio Brufau, Chef des spanisch-argentinischen Ölkonzerns Repsol, einander die Hände. Es sei eben nicht so dramatisch, wie manche meinen, sagt ein Branchenkenner: "Auch in Österreich gehört Erdöl zu den bundeseigenen Rohstoffen ."

Man sei auf ausländische Unternehmen angewiesen, meint Ul-Haq. Im Gegensatz zu Venezuela, wo der Erdölbereich seit Mitte der 1970-er Jahre verstaatlicht ist, würden in Bolivien diesbezüglich Strukturen fehlen. Zwei der Hauptabnehmer, Brasilien und Argentinien, sind zu einem Kompromiss bereit. Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva kündigte an, mit Bolivien über Tarife verhandeln zu wollen.

Gemeinsame Märkte

Mittel- und Südamerika will sich nicht abschotten - und tut es auch nicht. "Der Globalisierungsdruck zwingt die Staaten zu einer regionalen Integration", sagt Andreas Boeckh, Professor für Politik in Lateinamerika an der Universität Tübingen. Die Freihandelsabkommen seien "die Vorstufe, um auf dem Weltmarkt zu reüssieren", auch wenn "gewisse protektionistische Schienen" gefahren würden. Das größte ist der "Gemeinsame Markt des Südens" (Mercosur). Nach dem Willen seiner Gründer Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay sollte er ein Gegengewicht zur Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta mit den Mitgliedern USA, Kanada und Mexiko sein. Und er sollte - vor allem von den USA betriebenen - Plänen für eine Free Trade Area of the Americas/Área de Libre Comercio de las Américas, einer gesamtamerikanischen Freihandelszone, Paroli bieten.

Die Zukunft des "US-Gegengewichts" ist derzeit allerdings ungewiss: Uruguay und Paraguay überlegen den Austritt. Sie wollen auch mit anderen Staaten bilaterale Freihandelsabkommen abschließen können. Laut Vertrag dürfen Mercosur-Staaten nicht im Alleingang verhandeln. Venezuelas Präsident Hugo Chávez will das Bündnis hingegen stärken. Im vergangenen Dezember stellte sein Land den Antrag für die Mitgliedschaft.

"Chávez als Verbündeten zu haben, ist nicht unbedingt ein Vergnügen", sagt Boeckh. Anstatt längerfristig zu planen, anstatt Investitionen zu tätigen, um Sektoren konkurrenzfähig zu machen, verpulvere der Präsident die Gewinne, die durch die hohen Weltmarkt-Ölpreise eingefahren würden. Im Gegensatz zu Venezuela, das derzeit ausschließlich von der Ölhausse lebt, punktet Brasilien unter anderem mit Produkten der Agrarmultis - wie Zucker und Soja - sowie Rohstoffen wie Eisen, Silber und Kupfer. Brasilianische Aktien boomen.

Kampf um Einfluss?

Kleinere Unternehmen und Bauern naschen am Kuchen in- und ausländischer Multis und Investoren kaum mit - nicht nur in Brasilien. Viele satteln daher um. Mit dem Anbau von Koka-Pflanzen lässt es sich überleben - eine Entwicklung, die weder den lateinamerikanischen Staatschefs noch den USA und der EU Recht ist, und die diese daher zu bekämpfen versuchen. Doch diene den USA der Kampf gegen Drogenanbau dazu, mehr Einfluss auf die Politik der lateinamerikanischen Staaten zu gewinnen, meint unter anderen Boliviens Präsident Morales.

"Die EU verfolgt eine andere Politik als die USA", heißt es aus dem österreichischen Außenministerium. Während die USA in erster Linie auf die Zerstörung der Koka-Felder setzen, gewährt die EU einigen Staaten beispielsweise bevorzugten Marktzugang für bestimmte Güter. Das soll den Ausstieg vom Koka-Anbau erleichtern. Das Thema "Drogen" wird ein Thema des Gipfels sein. Diesbezüglich könnte die EU zu einer Entschärfung beitragen, meinen Experten. In anderen Fragen wie dem Bereich Landwirtschaft (siehe unten) bräuchte man selbst eine Art Vermittler.

Stichwort EU und Mercosur