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Kurz vor einer Operation oder einer größeren Zahnbehandlung: Diese Situation bedeutet eine der größten Stress-Belastungen, die bekannt sind. Die Gedanken der Patienten kreisen vor allem um die Frage, ob alles gut gehen wird, die Schmerzen nicht zu arg sein werden. Bewegung als eine aktive Form zur Spannungslösung fällt in diesem Moment aus. Aber es gibt sehr wohl ein Mittel, das zur Beruhigung beitragen kann: Die Einspielung klassischer Instrumentalmusik. "Versuche haben gezeigt, dass auf diese Weise immerhin 20 bis 40 Prozent Anästhetika eingespart werden können", sagte Don Campbell bei einem Vortrag, den er auf Einladung der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin in Wien hielt.
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Der aus Texas, USA, stammende Musiker und Psychologe gilt als einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der so genannten Musikwirkungsanwendung. Dass Musik beruhigen und zu einem ausbalancierten Zustand verhelfen kann, weiß man seit 3.000 Jahren, aber erst seit 20 Jahren wird ihre Wirkungsweise systematisch erforscht. Campbell hat dazu viele Bücher veröffentlicht, das bekannteste dürfte "Der Mozart Effekt" sein.
Gerade für die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart ist mit den heutigen Messmethoden nachweisbar, dass sie organische Veränderungen in Form einer Ausschüttung von Beta-Endorphinen und Immunglobulin nach sich ziehen kann, ihre Wirkungsmacht beschränkt sich also beileibe nicht, wie gerne unterstellt wird, auf einen ausschließlich geistig-nebulösen Bereich.
Dennoch liegt die Betonung auf "kann". Es mag paradox klingen, aber gerade die so genannten Normalbürger lassen sich, wie Campbell betonte, eher durch Musik bewegen als ausgesprochene Musikexperten. Der Grund: Diese reagieren unmittelbar emotional, während jene, bedingt durch ihren großen Sachverstand, eher dazu neigen, die Musik kognitiv zu verarbeiten. Daher kommt es bei ihnen auch immer wieder zu diesem eigenartigen Phänomen kommen: Eine gemeinhin als beruhigend geltende Musik können sie als überaus spannend und aufregend empfinden, weil sie vielleicht den kompositorischen Aufbau für gelungen halten.
Musik kann nicht direkt in das Krankheitsgeschehen eingreifen, insofern wirkt sie nicht wie ein Medikament. Ihr Einsatz kann aber etwa bei Schmerzzuständen durchaus angezeigt sein, weil sie zum einen von dem Schmerzgeschehen ablenkt und zum anderen als salutogener, das heißt unterstützender Faktor im therapeutischen Vorgehen wirkt.
Mitunter ist die Musik auch wirkungsmächtiger als jede Arznei, wie bei dementen Patienten oft zu beobachten ist. Alle Worte und alle Medikamente schaffen nicht, was manchmal ein par Takte Musik vermögen: dass sich ihr Antlitz entspannt und sie, die sonst immer so leblos scheinen, wieder Regungen zeigen.
Enorme Anforderungen
Orchestermusiker kann man mit Spitzensportlern vergleichen. Auch sie müssen Höchstleistung erbringen, wenn auch nicht im grob-, sondern feinmotorischen Bereich, auch bei ihnen geht es um die Präzision von Millisekunden. Eine hohe Anforderung, unter der nicht wenige buchstäblich zusammenbrechen. 13 Prozent der Orchestermusiker geben wegen gesundheitlicher Probleme vorzeitig ihren Beruf auf, so die Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Was kann oder muss getan werden, dass es nicht weiter zu dieser erschreckend hohen Zahl an Beschwerden kommt, welche präventiven Maßnahmen könnten bereits bei Musikstudenten ergriffen werden? Dieser Frage ging die Gesellschaft bei ihrem 9. Europäischen Kongress für Musikphysiologie und Musikermedizin in Freiburg nach.
Pädagogen, Musiker, Sportmediziner, Psychoanalytiker und Vertreter aus weiteren Disziplinen waren geladen - bereits dieses breite Spektrum macht deutlich, dass eine Lösung nur in einem interdisziplinären Ansatz gesehen wird. Klingt vernünftig und auf den ersten Blick fällt gar nicht auf, dass sich hier so etwas wie ein Paradigmenwechsel abzeichnet. Findet doch die Musikerausbildung traditionell in Meisterklassen statt, liegt sie also mehr oder weniger in der Verantwortung von einzelnen Künstlerpersönlichkeiten.
Nun erhebt die Medizin den Anspruch - und der ging erstmals vor 20, 30 Jahren von Amerika aus -, hier ein Wort mitzureden, nämlich indem sie in den originär künstlerischen Bereich auch epidemiologische Studien und evidenzbasierte Daten mit einbringt.
Alfred Lahme, Orthopäde und Berufsviolinist in München, dazu Dozent für Musikphysiologie am Mozarteum Salzburg, stellte auf dem Kongress vor, wie er in seiner Praxis mit ergonomischen Hilfsmitteln wie individuell angepassten Kinnhaltern oder Schulterstützen Violinspielern hilft, einer Veränderung ihrer Wirbelsäulenstatik vorzubeugen. Denn sehr oft sind permanente Fehlhaltungen die Ursache für sich entwickelnde chronische Überlastungssyndrome.
Einig waren sich die Kongress-Teilnehmer in dem Grundsatz: Nicht der Mensch sollte an das Instrument, sondern das Instrument an den Menschen angepasst werden. Was auch bedeutet, dass Orthopäden bei der Wahl eines Instruments mit behilflich sein können. Wer extrem kurze Finger hat, die vielleicht zudem eine geringe Spreizfähigkeit aufweisen, sollte sich nicht gerade für das Klavier entscheiden, denn Oktavgriffe würden ihm immer Schwierigkeiten bereiten.
Der junge Mensch, führte J. Gutzwiller von der Musikhochschule Luzern aus, macht sich beim Musikspiel noch keine Gedanken über das ausführende Organ - wieso auch, es funktioniert ja quasi von selbst. Der Berufsmusiker beginnt sich in der Regel erst dann näher mit seiner Haltung und seinen Bewegungsabläufen auseinander zu setzen, wenn Schmerzen auftreten. Wünschenswerter wäre allerdings, wenn er dies bereits früher tun würde - nicht nur im Sinne einer Gesundheitsprophylaxe, sondern auch im Sinne eines harmonischen und ausdrucksvollen Spiels.
In einem Punkt können aber auch die Mediziner keine Lösung anbieten: in der tristen Arbeitssituation. Auf eine freie Orchesterstelle kommen in der Regel hundert Bewerbungen. Der Druck von dieser Seite hilft nicht gerade zu einem angstfreien, gelösten Spiel.