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Nur beschränkt handlungsfähig

Von Walter Hämmerle

Analysen

ÖGB demonstriert Stärke in aktuellen Lohnkonflikten. | Staatstragender Anspruch durch Krise gefährdet. | Wien. Es ist stets die Betonung des Selbstverständlichen, die Verdacht erregt. Also sprach ÖGB-Interims-Präsident Rudolf Hundstorfer am Tag der Arbeit zur versammelten Basis: "Als ÖGB und Gewerkschaften sind wir auch in dieser Situation voll handlungsfähig."


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Im engeren Sinn entspricht das auch den Tatsachen: Am morgigen Donnerstag werden in rund 220 Unternehmen der heimischen Chemieindustrie die Maschinen für zwei bis vier Stunden stillstehen. Grund sind die in der vergangenen Woche in der dritten Runde gescheiterten Kollektivvertragsverhandlungen für die rund 40.000 Beschäftigten in der Chemieindustrie. Und auch in der Elektro- und Elektronikindustrie sowie in der Bauwirtschaft droht der Lohnkonflikt zu eskalieren.

Man kennt das Sprichwort aus der Sportler-Sprache: Angeschlagene Gegner sind immer am gefährlichsten. Und genau davor fürchten sich die Verhandlungspartner auf der Arbeitgeberseite am meisten. Immerhin könnte der ÖGB im Moment einen herzeigbaren Verhandlungserfolg über die andere Seite gut gebrauchen.

Das Selbstverständnis des ÖGB ging jedoch weit über das bloße Führen von Kollektivvertragsverhandlungen hinaus. Der Gewerkschaftsbund sah sich selbst als tragende Säule der Republik - und wurde auch von anderen so gesehen. Für diese Rolle braucht es in erster Linie weder viel Geld noch schlagkräftige Organisation, sondern vor allem moralische Glaubwürdigkeit. Und die steht in der jetzigen Krise zuvorderst auf dem Spiel.

Wie immer in einer solchen Situation mangelt es nicht an guten Ratschlägen von innen wie außen. Die Probleme liegen in der Umsetzung. Seit Mitte der 80-er Jahre begreifen sich Gewerkschafter als Hüter des Bestehenden. Der Sozialstaat war an seinem Höhepunkt angekommen, von da an galt es, Erworbenes zu verteidigen.

Es ist diese Entwicklung im Denken des ÖGB, die seine Handlungsfähigkeit in der jetzigen Krise am meisten bedroht. Auch Reaktionsschnelligkeit muss trainiert werden. Einzementierte Strukturen lassen sich nicht über Nacht über den Haufen werfen - selbst dann nicht, wenn sie als mitverantwortlich für die Malaise identifiziert wurden. Der ÖGB-Präsident mag abhängig von der Gunst starker Teilgewerkschaftschefs gewesen sein - Milliardenhaftungen übernehmen und Stiftungen gründen konnte er aber immer noch mit seinem Finanzreferenten allein.

In einem zentral organisierten ÖGB, wie ihn jüngst GPA-Chef Wolfgang Katzian angedacht hat, gäbe es zwar keine mächtigen Teilgewerkschaften mehr, allerdings verlöre man mit diesen auch eines der größten Assets: Mitgliederbindung durch branchenspezifische Gliederung.

Noch weitreichender wäre das Aus für die politischen Fraktionen. Auch in Deutschland fühlen sich die Gewerkschaften der SPD verbunden, der Kampf für die Interessen der eigenen Klientel genießt aber unbedingte Priorität. Vor allem Letzteres hat Gerhard Schröder als rot-grüner Kanzler schmerzlichst zu spüren bekommen. Vielleicht mit Blick auf diese Entfremdung zwischen SPD und Gewerkschaften hat SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos gegenüber der "Wiener Zeitung" eine Entparteipolitisierung abgelehnt.

Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass der ÖGB-neu weder zentral organisiert noch parteipolitisch unabhängig sein wird. Groß angekündigte Reformen pflegen in der Regel klein auszufallen. Die Strukturen werden modernen Managementerfordernissen ein wenig angepasst, und ansonsten werden sich die Veränderungen im optischen Bereich bewegen: Neue Köpfe werden über im Großen und Ganzen unveränderte Strukturen hinwegtäuschen.

Sehr wohl ändern wird sich allerdings die Finanzausstattung des ÖGB. Nach Bewältigung der Krise wird er den Großteil seines Vermögens verloren haben. Entsprechend wird auch die Redimensionierung - sprich: der Abbau - des kostspieligen Apparats ausfallen.