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In der Tory-Basis hat Boris Johnson an Zustimmung eingebüßt. Im Rennen um den Posten des neuen Premiers Großbritanniens könnte er sich selbst gefährlich werden.
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London/Wien. Das Wochenende ist nicht gut gelaufen für Boris Johnson. Und dann auch noch die Sache mit Steve Bannon. Die beiden scheinen einander recht gut zu kennen, das behauptet zumindest der ehemalige Berater von US-Präsident Donald Trump. Er habe Johnson voriges Jahr, damals noch Außenminister, bei dessen Rücktrittsverkündung geholfen, sagt Bannon in einem Video, das dem "Observer" zugespielt wurde: "Ich habe das ganze Wochenende mit ihm über seine Rede gesprochen. Wir sind immer wieder über den Text gegangen."
Unangenehm ist das für Johnson nicht nur, weil es klingt, als bräuchte er die Hilfe eines Rechtsaußen-Ideologen aus den USA, um seinen Rücktritt zu verkünden. Johnson hatte damals auch behauptet, seine "sogenannte Beziehung" zu Bannon sei eine "Wahnvorstellung der Linken".
Johnson in Erklärungsnot
Seine Fans scheint das wenig zu kümmern - "Boris" ist einfach zu unterhaltsam, bei Veranstaltungen ist der Applaus auch nach den jüngsten Peinlichkeiten nicht versiegt. Unterhalten hat der Favorit für das Rennen um den Posten als Premier Großbritanniens nämlich auch am Wochenende - diesmal allerdings unbeabsichtigt. Immer mehr Tories wollen nun wissen, wie es zu dem nächtlichen Polizeieinsatz in Johnsons Londoner Wohnung kam. Ein Nachbar hatte die Polizei gerufen, weil Johnson lautstark mit seiner Freundin gestritten hatte. "Geh runter von mir", soll sie geschrien haben, "verschwinde aus meiner Wohnung", dann lautes Klirren, ein Teller vielleicht, knallende Türen. Das Gebrüll soll mehr als zehn Minuten gedauert haben.
Johnson will sich dazu nicht äußern, dabei erwarten viele genau das von dem möglichen neuen Premier. "Wir verdienen eine Erklärung dieses Streits", sagt etwa der Taxi-Tycoon John Griffin, der die Tories mit Millionenspenden versorgt. Johnson könne nicht erwarten, "dass wir ihn unterstützen, wenn er nicht jedes Detail erläutert".
Es ist nicht das erste Mal, dass Johnson über sein Privatleben stolpert. Viele fragen sich, ob der Konservative seiner Vaterrolle gerecht wird - für die vier Kinder aus erster Ehe und für jenes, das aus einer Affäre hervorging. Angeblich hat Johnson mindestens ein weiteres Kind.
Der Tory-Favorit will das alles nicht kommentieren, er hofft wohl, dass der Sturm auch diesmal vorüberzieht. Der Streit mit seiner Freundin hat Johnson zwar geschadet, doch in der Partei liegt er nach wie vor deutlich vor seinem Konkurrenten Jeremy Hunt. Nach dem Polizeieinsatz von Freitagnacht fiel Johnson in der Gunst der Tory-Basis von 55 auf 45 Prozent, Hunt holte von 28 auf 34 Prozent auf. Der Außenminister gilt als höflich, er ist zweifellos der vernünftigere Kandidat, war bisher aber chancenlos: Johnson hat sowohl bei den Tories im Unterhaus als auch in der Parteibasis bei weitem mehr Anhänger. Dass Hunt Johnson mit Inhalten schlagen kann, ist unwahrscheinlich. Wenn, dann wird Johnson an sich selbst scheitern: Nur Johnson kann Johnson noch stoppen.
Inhalte sind nebensächlich
Der ehemalige Bürgermeister von London will erreichen, woran Theresa May gescheitert ist und der EU Zugeständnisse abringen. Die offene Rechnung an Brüssel - rund 45 Milliarden Euro - will er nur unter Bedingungen bezahlen. Weg soll vor allem der verhasste Backstop, der das Vereinigte Königreich im Notfall an die Zollunion der EU bindet. Weil Brüssel das Abkommen mit London nicht aufschnüren will, versucht Johnson es mit Erpressung: Ist die EU nicht bereit, den Austrittsvertrag zu ändern, dann gibt es am 31. Oktober eben einen No-Deal-Brexit. Damit würde das Land über Nacht zum Drittstaat, alle Vereinbarungen mit der EU wären ungültig, es müssten wieder Zölle eingeführt werden. Johnsons Vorhaben, die EU mit dem No-Deal-Brexit zu erpressen, gleicht der Drohung, sich selbst ins Knie zu schießen: Großbritannien würde ein Austritt ohne Abkommen zweifellos am härtesten treffen.
Einige Johnson-Kenner glauben daher, dass der Brexit-Hardliner, einmal Premier, etwas ganz anderes vorhat - und womöglich eine enge Anbindung an die EU oder gar ein zweites Referendum anstrebt. Das ist durchaus denkbar, denn einen Plan scheint es nicht zu geben. Weil Johnson keinerlei Garantien abgibt, bleibt viel Raum für Interpretationen. Unangenehmen Fragen weicht Johnson aus, er lenkt ab und ist ein Meister der Debatte. Gegen seinen Kontrahenten Hunt ist er schon während der gemeinsamen Studienzeit in Oxford angetreten. Im dortigen Debattierklub war Johnson - witzig, charmant und gut vernetzt - schnell ein Star.
Um politische Inhalte ging es wohl auch damals nicht. "Das Wichtigste in der Union (dem Debattierklub) waren das Geschick in der Debatte sowie bedingungsloser Ehrgeiz", schreibt Simon Kuper, damals ebenfalls Student an der Eliteuni, in der "Financial Times". In den 1980ern, Johnsons und Hunts Zeit in Oxford, habe man Debatten nicht gewonnen, indem man das Publikum mit Details langweilte, sondern mit persönlichen Sticheleien.
Held des Anti-Mainstreams
Heute inszeniert sich Johnson, Sohn aus der Oberschicht, erfolgreich als Held des Anti-Mainstreams, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Im Brexit-Streit hat er glaubwürdig vermittelt, dass er allein den EU-Austritt durchziehen kann. Für viele, die das Ganze rasch hinter sich bringen wollen, ist Johnson der richtige Mann. Dass er lügt und betrügt, dass er immer wieder seine Haltung ändert, um seine Macht zu stärken, ist nebensächlich.
Vor dem Austritts-Referendum war Johnson lange unschlüssig gewesen, erst im Februar 2016 sprach er sich für den Brexit aus - und gab damit wohl den entscheidenden Impuls. Davor hatte der damalige Bürgermeister von London zwei Texte vorbereitet, einen für den Verbleib in der EU, einen dagegen. Erst in letzter Minute entschied er sich - für jenen Text, der besser klang.