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Nur die Familie zählt

Von Nada Andjelic

Politik
Orthodoxe Christen in Sarajevo verbrennen zur Feier des Tages einen Eichenstrauch.
© Corbis

Junge Generation praktiziert kaum die Bräuche aus der Heimat der Eltern.


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Wien. Während für den Großteil der Wiener der Weihnachtswahnsinn vorbei ist, steht er bei einer Community noch aus: den orthodoxen Christen. Sie feiern am
6. und 7. Jänner den Heiligen Abend. Die orthodoxe Glaubensgemeinschaft in Österreich umfasst rund eine halbe Million Anhänger, knapp die Hälfte von ihnen stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Sie orientieren sich am Julianischen Kalender, der seit der Kalenderreform im Jahr 1582 um 13 Tage vom damals eingeführten Gregorianischen Kalender der Westkirche abweicht.

"Am meisten freue ich mich auf die Weihnachtsfilme", sagt Mario Pavlek und grinst. Der 33-Jährige ist in Wien geboren und aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus Kroatien. Der Versicherungsfachmann mit rasierter Glatze und Vollbart knüpft sein Sakko auf, lehnt sich vor und erzählt kurz von seiner Kindheit im 6. Bezirk.

Damals wuchs er eher bescheiden auf. Heute gehört er zu einer der stärksten Kaufkraftgruppen Österreichs. Kroatische Weihnachtslieder kennt er keine, schließlich habe er mit den "urigen Bräuchen wenig am Hut". Jedes Jahr versammle sich seine Familie zu Weihnachten und bereite gemeinsam das bevorstehende Mahl vor: "Familie und Essen, das ist für mich Weihnachten", sagt er. Danach fährt er nach Hause und genießt entweder das neue Playstation-Spiel, das er geschenkt bekommen hat, oder das Filmprogramm im Fernsehen, "das ist zumindest noch genauso wie damals, als ich ein Kind war".

Die Kinder der ersten Gastarbeiterwelle sind erwachsen geworden. Die meisten sind bereits über 30 Jahre alt und fühlen sich heimisch in Wien. Auch sie kaufen zu Weihnachten Tannenbäume, Adventkränze und Geschenke. Die Traditionen aus der alten Heimat der Eltern führt die neue Generation selten weiter.

Glaube nicht heucheln

Die "Jüngeren" würden sich den "Älteren" höchstens anschließen, meint Jelena Romanovic. Die 34-Jährige wohnt seit fast 30 Jahren in Wien. Sie selbst richtet Weihnachten nicht aus, sondern besucht lediglich ihre Familie. "Am 6. Jänner, dem orthodoxen Heiligabend, gehe ich mit meiner Familie gemeinsam in die Kirche und danach genieße ich den Abend im Kreis meiner Familie. Glaubenstechnisch hat es aber immer weniger und weniger Bedeutung für mich", sagt die gebürtige Roma, die sich in Wien vor mehreren Jahren selbständig gemacht hat. Auch sie gehört zu der moderneren und kritischen Gruppe, die ein eigenes Bewusstsein für Weihnachten entwickelt hat. "Menschen, die glauben, sollten das meiner Meinung nach das ganze Jahr über praktizieren und nicht nur an diesen paar Tagen im Jahr heucheln."

Auch die gebürtige Serbin Ivana Antic kritisiert den instrumentalisierten Konsum und die Oberflächlichkeit von Weihnachten. Bei ihr zu Hause wird das Fest ebenfalls nicht klassisch zelebriert. Die Geschäftsführerin einer Eventagentur in Wien findet nicht viele Zusammenhänge zwischen Weihnachten und der Geburt Jesu Christi: "Von der Familie sind zu Weihnachten alle da, aber wir feiern nicht wirklich. Wir beachten keine Traditionen. Es gibt auch keinen Kirchengang, keine Dekoration oder das Befolgen von Bräuchen. So wie ich das ursprünglich kenne, gibt es im orthodoxen Glauben keine Bescherung", erzählt sie. Die öffentliche Zurschaustellung zu Weihnachten missachtet sie eher: "Ich beobachte das katholische Weihnachten öfter in den sozialen Medien und verfolge mit, wie Bekannte Weisheiten und Wünsche posten. Oft halte ich dieses öffentlich Machen für scheinheilig", kritisiert sie.

Ihr Verdruss über die Zelebrierung der Feiertage ist deutlich: "Das Fest sollte die Verbindung zur Familie symbolisieren und nachdenklich stimmen. Es sollte eine Zeit des Revuepassierens und Schöpfens neuer Hoffnung und Kraft, im Kreis der Familie und der Freunde, sein. Wenn ich eine eigene Familie habe, werde ich versuchen, dies meinen Kindern zu vermitteln." Doch bis dahin verbringt sie die Feiertage nach ihrer Façon: "Am 25. versammeln wir uns bei meiner besten Freundin, die Halbperserin ist. Wir sind bunt gemischt, aber keiner von uns ist katholisch", erklärt sie. "Wir essen alle zusammen und sind beieinander. Das ist es, was Weihnachten für mich und meine Freunde ausmacht."

Gemüse schnipseln

Das katholische Weihnachtsfest stellt für die in Wien lebenden Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien trotz aller Kritik einen beschaulichen Brückenschlag zwischen alter und neuer Heimat dar. Auch Jelena Romanovic kann sich noch an frühe Jugendtage erinnern: "Weihnachten war für mich als Kind sehr wichtig, weil wir da immer bei meiner Tante waren. Sie hat einen katholischen Mann, und wir bekamen Geschenke, aßen gut und genossen das TV-Programm." Nachdenklich fügt sich jedoch hinzu: "Aber mit dem Glauben hatte dieser Tag nie etwas zum tun."

Auch Versicherungsfachmann Mario Pavlek schätzt bei näherer Überlegung an Weihnachten am meisten das "Beisammensein". "Am wichtigsten ist für mich, dass meine Familie sich zwei Tage lang versammelt, Weihnachtsmusik läuft und meine Mutter mich und alle anderen zwingt, das Gemüse für den Salat zu schnipseln, das ist Weihnachten", sagt er und strahlt. "Es ist nicht so, dass wir nur zu Weihnachten zusammenkommen", wirft er ein, "aber Weihnachten ohne Familie oder die engsten Freunde ist doch traurig."