Studie: SPÖ und ÖVP überaltert, konservativ, reformkritisch. | Bereitschaft zu Veränderungen eint Grüne und Freiheitliche. | Wien. Wenn es um Koalitionsspekulationen in Österreich geht, dann stehen in der Regel die Positionen der Parteien und Charaktere der Spitzenpolitiker im Vordergrund. Die Frage, ob auch die Haltungen und Mentalitäten der Wähler der jeweiligen Koalitionsparteien miteinander kompatibel sind, spielt zumeist keine Rolle. | Meinungsforscher Kirschhofer über alternde Großparteien
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Dabei sind gemeinsame Erwartungshaltungen in Sachen Werte und Inhalte eine grundlegende Voraussetzung für Koalitionsregierungen, eine kohärente Politik zu erarbeiten. Das Linzer Meinungsforschungsinstitut Imas hat vergangenes Jahr im Rahmen einer groß angelegten empirischen Studie die Positionen der Wähler näher unter die Lupe genommen - und teils überraschende Ergebnisse zu Tage gefördert.
Alt versus Jung
Dabei zeigt sich, dass sich die Wähler sogenannter Lager-Koalitionen - also Rot-Grün und Schwarz-Blau - teils massiv in ihren Standpunkten und auch sonstigen Lebenseinstellungen unterscheiden. Zudem verbindet die Wähler von Freiheitlichen (die Studie weist die Wähler des BZÖ nicht gesondert aus) und Grünen, die gemeinhin als diametral entgegengesetzt porträtiert werden, mehr, als vielen bewusst, wohl auch lieb ist.
Die Anhänger beider Oppositionsparteien sind im Durchschnitt deutlich jünger, zukunftsorientierter und öfters ledig (die Letzteren korrelieren mit dem geringeren Alter); sie interessieren sich nur beiläufig für Politik, sind dafür allem Neuen und Modernen gegenüber aufgeschlossen, wollen beruflich weiterkommen und haben Spaß daran, andere von ihrer eigenen Meinung zu überzeugen.
Die Wähler von SPÖ und ÖVP sind demgegenüber stark überaltert und damit deutlich weniger zukunftsorientiert.
Daraus ergibt sich bereits zum Teil die Heterogenität der Wähler der beiden österreichischen Linksparteien, also von SPÖ und Grünen, deren Ausmaß ist jedoch durchaus überraschend - in manchen gesellschaftspolitischen Fragen bilden die Wähler der beiden Parteien sogar die Extrempole, etwa was die Bereitschaft zu grundsätzlicher Veränderung, sozialem Engagement oder Europabewusstsein angeht. Auch in Fragen von Zuwanderung, Kindererziehung, christlichen Traditionen, der Ehe von Homosexuellen oder dem Bild von der Rolle der Frau in der Gesellschaft haben die Wähler der Kanzlerpartei sehr viel mehr mit jenen von ÖVP und Freiheitlichen gemeinsam als mit den Grünen.
Eine schwarz-blaue Konstellation hätte demnach gegenüber einer rot-grünen Alternative - zumindest was die Ansichten der Wähler angeht -, ein deutlich breiteres Fundament. Die größten Unterschiede zwischen den Anhängern von ÖVP und Freiheitlichen gibt es bei den Themen Europabewusstsein, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Entwicklungen und der Einstellung gegenüber Zuwanderern.
Konservativer Konsens
Sieht man sich die Ergebnisse im Detail näher an, zeigt sich, dass in Österreich in zahlreichen gesellschaftspolitischen Fragen ein relativ breiter, vorwiegend konservativer Meinungskonsens besteht, der von den Anhängern von SPÖ, ÖVP und Freiheitlichen geteilt wird. Die Grünen scheren als einzige politische Partei aus diesem (klein-)bürgerlich-konservativen Meinungsklima aus. Nur dort, wo es um Grundfragen von Stabilität versus Veränderung geht, stehen Freiheitliche und Grüne aufgrund ihrer Altersstruktur auf der gleichen Seite.
Womöglich liegt in dieser linksliberalen Nischenpositionierung der Grünen auch die Ursache, dass ihnen - anders als in Deutschland - ein Sprung über die 20-Prozent-Marke auf absehbare Sicht verwehrt bleibt.