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Nur die Hälfte hat mitentschieden

Von Martyna Czarnowska, Bratislava

Europaarchiv

Die SlowakInnen haben sich für einen EU-Beitritt ihres Landes entschieden - und die bisher höchste Zustimmung ausgesprochen. Laut offiziellem Endergebnis votierten 92,5 Prozent für die Mitgliedschaft in der Union. Die Auszählung der Stimmen war dennoch eine Zitterpartie. Denn auch nach Schließung der Wahllokale war lange nicht klar, ob die erforderliche Mindestbeteiligung von 50 Prozent erreicht wurde.


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Schulschluss ist. Durch die Altstadt von Bratislava ziehen Gruppen von MaturantInnen, die mit Trommelwirbel und Sprechchören auf sich aufmerksam machen. Einige sind verkleidet, die meisten tragen Fotos ihres Jahrganges vor sich her. Den PassantInnen und Gästen der Schanigärten halten sie einen Karton, einen Hut oder ein anderes Gefäß hin, mit der Aufforderung um eine milde Gabe. Sie nehmen auch Euro: Eine Maturantin zeigt sich erfreut über die Fremdwährung. Über einen EU-Beitritt dürfe sie noch nicht abstimmen. Doch sie hoffe, dass sich genug andere Landsleute dafür finden.

Zur gleichen Zeit werden in vielen Schulen - und damit Wahllokalen - die letzten Vorbereitungen für das EU-Referendum getroffen. Es ist der erste Tag, an dem die Slowak-Innen über eine Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union abstimmen sollen. Von der festgelegten Wahlruhe halten die meisten Medien wenig. "Geht Ja oder Nein sagen" appelliert eine der größten Tageszeitungen, "Sme", auf ihrer Titelseite. Denn die Mindestbeteiligung war die größte Hürde, an der bisher alle Volksabstimmungen in der Slowakei gescheitert sind.

"Ano, sicher gehe ich wählen", sagt die Verkäuferin, die vor der alten Markthalle ihre Lebkuchen anbietet. Sie kam allerdings erst am Samstag dazu, da sie nicht aus Bratislava stammt. Vor einigen Wahllokalen standen die Menschen aber bereits am Freitag Schlange. Andrej hat das "Ja" schon am ersten Referendumstag angekreuzt. "Sollten wir nicht beitreten, wäre die Situation für uns in einigen Jahren viel schlechter", begründet der Wirtschaftsstudent. "Die erste Zeit wird sicher hart, doch dann wird sich die Lage verbessern", meint er. "Wir sind ein kleines Land, allein können wir es nicht schaffen."

"Wir erhoffen uns von dem EU-Beitritt, dass sich der Lebensstandard erhöht und das Land stabilisiert. Nur so können weiter Investitionen in die Slowakei fließen", sagt eine Journalistin. Doch es gebe genug Desillusionierte, die den Versprechen der Regierung, dass sich die Lage bessern werde, keinen Glauben mehr schenken, fügt sie hinzu. "Wie lange können wir uns vertrösten lassen, fragen sich die Menschen. Zehn, fünfzehn Jahre?" Sie sehen den Urnengang als Votum für die Regierung an - und gehen nicht hin.

Ob das Referendum an der 50-Prozent-Hürde der Mindestbeteiligung scheitern würde, war denn auch bis Samstag Nachmittag nicht klar. Noch am Vormittag hatten Staatspräsident Rudolf Schuster, Parlamentspräsident Pavol Hrusovsky und Premierminister Mikulas Dzurinda einen Appell an die Bevölkerung gerichtet, an der Volksabstimmung teilzunehmen. Die Slowakei stehe vor der wichtigsten Entscheidung in ihrer Geschichte, hieß es in der Erklärung. Befürchtungen, das Referendum bleibe durch die niedrige Wahlbeteiligung ungültig, schienen sich zunächst zu bewahrheiten. Am Freitag hatten schätzungsweise erst 30 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, am Samstag, zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale, war von 48 Prozent die Rede. Am Abend verkündete Dzurinda jedoch: Die Abstimmung sei gültig.

Es war denkbar knapp: 52,15 Prozent der über vier Millionen StimmbürgerInnen haben sich zu den Urnen begeben. Weniger überraschend war das Ergebnis, da laut Umfragen die Zustimmung zum Beitritt eine hohe war: 92,46 Prozent haben sich für die Mitgliedschaft in der Union ausgesprochen. Damit wurde das bisher klarste "Ja" zur EU gegeben.

"Die Menschen haben verstanden, dass es nicht um politische Parteien, sondern um die Zukunft unseres Landes ging", erklärte Dzurinda. Und Schuster hatte noch im Vorfeld gemeint: "Ich bin froh, dass ich das noch erlebt habe und wir endlich über etwas abstimmen können, von dem wir einmal geträumt haben." Eine Debatte, warum die Regierung nur die Hälfte der WählerInnen mobilisieren konnte, wird dennoch kaum ausbleiben.

Zunächst standen aber Gratulationen an der Tagesordnung: von Seiten der EU-Kommission, des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der tschechischen Regierung. Der Regierung in Warschau ließ Schuster über die polnische Presseagentur PAP ausrichten: "Wir halten euch die Daumen." Denn das nächste EU-Referendum findet am 7. und 8. Juni in Polen statt.