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Nur ein Blechschaden

Von Siobhán Geets

Wirtschaft

WKO-Wirtschaftsexperte Christian Kesberg bricht angesichts des Brexit nicht in Panik aus.


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Wien. Seinen Anfang genommen hat alles mit der Krise. Wäre die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 nicht gewesen, da ist sich der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Großbritannien, Christian Kesberg, sicher, gäbe es heute auch keinen Brexit.

Er erklärt das so: Die britische Volkswirtschaft ist vom Finanzsektor abhängig - er macht 8,5 Prozent des BIP und 11,5 Prozent des Steueraufkommens aus. Deshalb war Großbritannien besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen. Die darauf folgende Phase des Sparens und die Stagnation der Reallöhne sorgten, in Kombination mit Millionen Einwanderern aus der EU, der anti-europäischen Stimmung auf der Insel und den zahlreichen europäischen Krisen (von Flüchtlingen bis zum Euro) für jene toxische Atmosphäre, die den EU-Austritt möglich gemacht hat.

Rund 52 Prozent stimmten im Juni 2016 für den Brexit. Glaubt man den Umfragen, wollen heute ganze 85 Prozent den EU-Austritt durchziehen - also auch ein großer Teil jener, die damals noch für den Verbleib waren. Die eher Brexit-freundliche Stimmung auf der Insel erklärt auch die wirtschaftliche Entwicklung seit dem Referendum: "Die diesbezüglichen Prognosen waren falsch. Großbritannien hatte 2016 eine im OECD-Vergleich beeindruckend positive Bilanz von 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum." Auch heuer fällt das "Rendezvous mit der Wirklichkeit" weniger schmerzhaft aus als erwartet: Zwar geht es leicht abwärts, doch liegt das Plus immer noch bei 1,7 Prozent.

Das liege wiederum daran, dass "die Konsumenten nicht unzufrieden mit dem Brexit sind". Einzig die Investitionsnachfrage ist zurückgegangen. Am schlimmsten, sagt Kesberg, sei die Unsicherheit: "Die Unvorhersehbarkeit des Kursverlustes an den Märkten ist schlimmer als die Abwertung des britischen Pfund selbst." Besonders während der Austrittsverhandlungen, die im Juni beginnen, könnte jede Nachricht zu Kurssprüngen führen.

Sicher sei, dass der britische Konsument die Inflation zu spüren bekommen werde. Supermärkte agierten hier ausgefuchst: "Die Verpackungen werden kleiner, der Preis bleibt gleich." Zudem würden Produkte wie Kerzen um rund 20 Prozent teurer, während Alltagswaren wie Milch gleich blieben.

Brexit and the City

Wirklich schwarz sieht Kesberg auch für die City of London nicht. Immerhin finden dort 50 Prozent des weltweiten Devisenhandels statt. Das Europa-Geschäft macht nur ein Viertel des Volumens aus. "Wirklich wehtun würde es dem Finanzplatz und der EU nur, wenn es keinen Deal zwischen Brüssel und London gebe." Selbst, wenn Banken bis zu 30.000 ihrer Mitarbeiter innerhalb der EU verlegen, wäre das nur ein Bruchteil der rund 2,2 Millionen in der City Beschäftigten. Fazit: "Der Finanzsektor wird beschädigt, bleibt aber erhalten."

Und was geschieht bei einem Brexit mit den rund 250 Niederlassungen österreichischer Firmen im Land? Kesberg: "Die bleiben gelassen. Sie bedienen ja nicht den europäischen Markt von Großbritannien aus, sondern den britischen. Und der bleibt erhalten." Bis 2021 werde sich zudem nichts ändern: Nach dem EU-Austritt 2019 wird es eine Übergangsphase von mindestens zwei Jahren geben, in denen Großbritannien weiterhin ins EU-Budget einzahlen und alle Rechte haben wird.

Als Nischenspieler hätten österreichische Unternehmen keine britische Konkurrenz zu fürchten, sagt Kesberg. Laut dem Wirtschaftsexperten könnten sie sogar von erhöhten staatlichen Investitionen nach dem Brexit profitieren - und etwa bei Infrastrukturprojekten zum Zug kommen. Werden bei einem "harten Brexit" wieder Zölle eingehoben, dann leiden österreichische Firmen allerdings genauso darunter: "Allein die Zollabfertigung kostet zwei Prozent des Warenwerts." Zudem wäre es problematisch, wenn London die Entsendung von Mitarbeitern einschränkt: "Es gibt einen Kompetenzmangel in Großbritannien, wir brauchen Facharbeiter aus Osteuropa."

Scheidet Großbritannien aus dem Binnenmarkt der EU aus, dann fällt es im schlimmsten Fall auf die Regeln der Welthandelsorganisation zurück. Für Kesberg wäre das "unlustig, aber nur ein Blechschaden".