Mitgliederentscheid ohne Quorum, aber für Rettungsschirm.
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Berlin. "Ham’ses wieder mal jeschafft", murmelte der Berliner Kollege am Freitag während er seinen Schreibblock einpackte. Gerade hatte der Chef der deutschen Liberalen, Philipp Rösler, das Rednerpult in der Aula der Berliner FPD-Zentrale verlassen - der Raum war voll von Journalisten, die auf eine Antwort gewartet hatte: Überlebt die Koalition in Berlin diesen Tag?
Viel war gemutmaßt worden in den vergangenen Tagen, die liberale Basis würde dem Parteivorsitzenden den Todesstoß versetzen - und damit auch der Regierung. Möglich wäre das geworden, hätte der sogenannte Euro-Rebell Frank Schäffler die FDP-Mitgliederbefragung zum Euro-Rettungsschirm gewonnen. Den Entscheid hatte Schäffler erkämpft: Die FDP soll seiner Ansicht nach den permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ablehnen, mit dem hoch verschuldete Staaten ab 2012 unterstützt werden können. "Wenn es zur Abstimmung über den ESM kommt und wir einen gültigen Beschluss unserer Basis dagegen haben, dann hat die FDP ein Problem. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Koalition dann weiterarbeiten kann", hatte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vorab gewarnt.
Doch die nötige Beteiligung von mindestens einem Drittel der Mitglieder, 21.500, wurde knapp nicht erreicht, wie Rösler am Freitag mitteilte. Jene, die abgestimmt hatten, sprachen sich zu 54,5 Prozent für den Kurs der Parteispitze aus und zu 44,2 Prozent für den Antrag Schäfflers.
"Die FDP ist und bleibt klar ausgerichtet proeuropäisch", erklärte Rösler. Jemand klatschte: Auch viele Liberale waren zur Verlautbarung Röslers gekommen, darunter der langjährige Schatzmeister Hermann Otto Solms, der Chef der Jungliberalen Lasse Becker und die einzige liberale Wahlgewinnerin in diesem Jahr, Katja Suding aus Hamburg. Rösler habe "leider ohne Quorum, aber doch, eine Mehrheit erhalten", sagte etwa Becker. Die Erleichterung war also groß - wobei man sich bemühte zu zeigen, dass man nie an dem Ausgang gezweifelt hatte. Von Außenminister Guido Westerwelle hieß es, dass die FDP damit "auf einem Kurs der europäischen Integration" bleibe. "Das ist eine gute Nachricht für Deutschland, für Europa und für die Liberalen."
Basis bleibt unzufrieden
Mehr als ein Etappensieg ist das Ergebnis freilich nicht. Denn ein starker Koalitionspartner wurde aus der Partei damit nicht. Die liberale Basis ist nach wie vor gespalten, etliche sind unzufrieden: Ihre Partei sei in der Regierung nicht sichtbar, lautet ein Kritikpunkt. In den Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute lag die FDP zuletzt bei drei und vier Prozent. Den Einzug ins Parlament würde sie damit nicht schaffen. Mehr als fünf Prozent hat sie seit Monaten nicht erreicht.
Dabei hätte mit dem Parteitag im Mai alles anders werden sollen. Schwungvoll und mit Profil, so wollten sich die Liberalen fortan zeigen, und als Partei und Koalitionspartner ernst genommen werden. Als Gesicht der "alten FDP" war Guido Westerwelle abgetreten. Drei junge Politiker rückten in den Vordergrund, neben dem 32-jährigen Generalsekretär Christian Lindner der neue Gesundheitsminister Bahr sowie der neue Parteichef Rösler.
Doch es tat sich nichts, das man als Erneuerung der FDP, als Schärfung des Profils wahrnehmen hätte können - auch wenn sich Lindner als jener präsentierte, der der Partei einen intellektuellen Anstrich gibt und den Wählern erklärt, was die FDP unter "Liberalismus" versteht. Lindner ist aber diese Woche überraschend als Generalsekretär zurückgetreten.
Auch wenn die Befragung Rösler "für den Augenblick" gefestigt habe: "Über den Dreikönigstag hinaus würde ich im Moment keine Wetten auf den Parteivorsitzenden abgeben", sagte Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, am Freitag im "Deutschlandfunk". Am 6. Jänner findet das traditionelle Treffen der Liberalen statt. Im vergangenen Jahr hatte sich dort noch Guido Westerwelle feiern lassen und sich als Parteivorsitzenden initiiert, den niemand aus dem Amt jagen kann. Drei Monate später trat er zurück.