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Nur ein neues Gesetz könnte gegen Sozialbetrug helfen

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

Derzeit gibt es keine Handhabe, gegen Scheinfirmen und Sozialbetrug strafrechtlich vorzugehen, davon ist Tassilo Wallentin, Experte für Gesellschaftsrecht, überzeugt. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" legt er die Gründe dar. Er wird morgen, Donnerstag, einen heiklen Fall vor Gericht verteidigen und ist wegen der geltenden Rechtslage sehr sicher, diesen zu gewinnen.


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Schon lange stehen Scheinfirmen, die vor allem im Bau- und Transportgewerbe viele Arbeiter und Auftragnehmer um ihr Geld prellen, in Verruf. Die Arbeiterkammer kritisiert in regelmäßigen Abständen, dass Sozialbetrug zunimmt und die Regierung diesem Trend tatenlos zusieht. Unter Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer wurde schon an einem Entwurf gegen diese bisher kaum geahndeten Vergehen gearbeitet. Für Vizekanzler Hubert Gorbach sind die "schwarzen Schafe vorrangig in der Baubranche". Er versprach, dass ein Gesetzesentwurf noch vor Weihnachten vorliegen wird.

Morgen, Donnerstag, startet die Verhandlung gegen drei Geschäftsführer von Scheingesellschaften (alle GesmbHs) am Wiener Landesgericht. Zwei der angeklagten Geschäftsführer werden von Tassilo Wallentin vertreten.

Der Gesellschaftsrechtler ist sehr zuversichtlich, dass der Prozess zugunsten seines Mandanten ausgeht. Denn die Anklage wurde abgemildert. Zuerst verlangte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Betrugs und Untreue, jetzt lautet die Anklage nur noch auf "falsche Angaben gegenüber dem Firmenbuch".

Die Pro-forma-Einlagen

Damit ist gemeint, dass die Gesellschafter die Einlage des Stammkapitals zwar pro-forma getätigt haben, das Geld (17.500 Euro) aber nach Eintragung ins Firmenbuch wieder vom Gesellschaftskonto abgezogen wurde und somit im Unternehmen nicht mehr vorhanden ist. Diesen Tatbestand interpretieren die Beschuldigten anders: Das Geld wäre zwar vom Konto, aber nicht aus der Firma verschwunden. Außerdem gibt ihnen ein Sachverständigen-Gutachten guten Grund zur Annahme, dass sie ohnedies straffrei ausgehen werden.

Wallentin bezieht sich nämlich auf ein sophistisches Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH), wonach auch das vorsätzliche Abziehen der Stammeinlage kein strafrechtlicher Tatbestand ist, da die Einzahlung ja tatsächlich - wenn auch nur für eine "logische Sekunde" - auf dem Gründungskonto erfolgte. Sollten die Sozialversicherungen oder Arbeiter um ihre Ansprüche geprellt worden sein, muss ein zivilrechtlicher Prozess die Causa beurteilen.

Der Fall "Centros"

Obendrein, erklärt Wallentin, habe ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Hürde des Stammkapitals beseitigt. Im Fall "Centros" wurde 1999 entschieden, dass die "Gründung einer englischen Briefkastenfirma, mit dem alleinigen Zweck in Österreich tätig zu werden", legal ist.

Für Wallentin zog der EuGH-Spruch eine Umwälzung im Gesellschaftsrecht nach sich: "Die Hürde des Stammkapitals zur Gesellschaftsgründung wurde dadurch in Europa beseitigt."

Gesellschaften ohne Wert

Seither sei es möglich, dass völlig unterkapitalisierte Gesellschaften (sogenannte Limited Companies brauchen nur eine Einlage von 100 Pfund) in Österreich tätig werden können, aber gleichzeitig den Schutz einer juristischen Person genießen. Das heißt, im Fall einer Pleite haftet die Gesellschaft auch in Österreich nur mit der minimalen 100-Pfund-Einlage: Die Gläubiger schauen durch die Finger. "Das war in Österreich jedoch nie in dieser Art gewollt." Doch die Niederlassungsfreiheit war dem EuGH offensichtlich wichtiger als der Schutz der Arbeitnehmer und Gläubiger.

Abhilfe könnte nur ein neues strenges Gesetz gegen Sozialbetrug schaffen, ist der Anwalt überzeugt. "Die bestehende Rechtsordnung lässt selbst in offensichtlichen Fällen keinen Raum für eine strafrechtliche Verurteilung", erklärt Wallentin. Auch wenn im vorliegenden Fall sein Mandant von der Rechtslage profitiert.

Die Arbeiterkammer fordert ebenfalls einen strafrechtlichen Tatbestand gegen den "organisierten Sozialbetrug". "Kriminelle Netzwerke gründen Gesellschaften ohne Maschinen, ohne Büroräume und mit einer Kapitalausstattung, die aus einem für einen Tag aufgenommenen Bankkredit besteht," kritisiert AK-Experte Christoph Klein.

Allein die Wiener Bauwirtschaft habe bei der Gebietskrankenkasse Rückstände von 160 Mio. Euro. "Ein Großteil ist auf Sozialbetrug durch Schwindelfirmen zurückzuführen", so Klein. Trotz Ankündigung liege noch immer kein Entwurf vor. Im Parlament gebe es jedoch seit einem Jahr einen fertigen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des Schwindelfirmenunwesens, der von der Regierung aber niemals aufgegriffen wurde. Die AK hofft nun wegen der drückenden Finanzlage der Krankenkassen auf eine rasche Lösung.