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Ehrgeizige Klimaschutzziele. | Gipfelstreit um erneuerbare Energie und Atomkraft. | Brüssel. Spätestens der jüngste UNO-Klimabericht von Anfang Februar hat die Weltöffentlichkeit endgültig aufgerüttelt. Um 6,4 Grad Celsius im schlimmsten Fall werde die Erdtemperatur bis 2100 ansteigen, der Meeresspiegel um 59 Zentimeter, weil Gletscher und Polareis schmelzen, warnten die Wissenschaftler. Überschwemmungen und Dürreperioden würden Millionen von Klimaopfern und hunderte Milliarden Euro kosten.
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Zur Schadensbegrenzung will die EU eine Vorreiterrolle im weltweiten Klimaschutz einnehmen. Es sei von "entscheidender Bedeutung", dass sich die Erdatmosphäre weltweit "nicht mehr als zwei Grad Celsius" gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärme, wollen die EU-Staats- und Regierungschefs laut einem Entwurf der Gipfelbeschlüsse "unterstreichen."
Dafür haben sich die EU-Staaten bereits vor dem Gipfeltreffen auf einige essentielle Klimaschutzziele geeinigt. Über das Auslaufen des Kyoto-Protokolls 2012 hinaus will die Union die Kohlendioxidemissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 senken - unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen über ein so genanntes Post-Kyoto-Abkommen.
In diese Verhandlungen will die EU aber mit einem Ziel von 30 Prozent Minus gehen. Angestrebt wird, dass andere Industrieländer wie die USA und aufstrebende Schwellenländer wie China und Indien mitziehen. Mit dieser Position will die deutsche Bundeskanzlerin und amtierende EU-Vorsitzende Angela Merkel die G8-Konferenz im Juni konfrontieren, der sie im laufenden Halbjahr ebenfalls vorsteht.
Um diese CO 2 -Reduktion plausibler zu machen, sollen 20 Prozent des heutigen Energieverbrauchs eingespart werden. Bis 2020 sollen alle Mitgliedstaaten verbindlich mindestens zehn Prozent des Treibstoffverbrauchs durch Biosprit abdecken. Und das Ziel der Abdeckung von 20 Prozent des gesamten EU-Energieverbrauchs durch erneuerbare Energiequellen wie Wind-, Wasser-, und Solarenergie soll festgeschrieben werden.
Zankapfel Atomkraft
Doch hier hört sich die Einigkeit unter den EU-Ländern auf. Ob diese Vorgabe "verbindlich" sein soll, streiten die Mitgliedsstaaten schon seit Wochen ohne Ergebnis. Frankreich, Tschechien und einige weitere Mitgliedstaaten Zentral- und Osteuropas legen sich quer. Letztere fürchten vor allem, dass die derzeit noch teure Umstellung auf erneuerbare Energiequellen ihre aufstrebenden Wirtschaften bremst. Viel mehr Erfahrung hätten sie mit anderen "kohlenstoffarmen" Energiequellen, hieß es beim Außenministerrat am Montag mehrfach. Übersetzt heißt das: Atomkraft.
Wie die "Wiener Zeitung" berichtete, hatte Frankreich erklärt, erneuerbare Energie reiche für den Klimaschutz nicht aus. Vielmehr werde ein Ziel für Energien benötigt, die wenig CO 2 ausstoßen. Wenn das Ziel verbindlich sei, könne auch das "Unterziel" für erneuerbare Energien verbindlich sein.
Es habe allerdings wenig Sinn, bei der Kernenergie "einzelnen Ländern entgegenzukommen und dafür andere Länder wie Österreich zu verlieren", sagte ein Vertreter des EU-Vorsitzes. Frankreich könnte beim Gipfel eine Atomdebatte vom Zaun brechen. Daran hat Berlin kein Interesse und rudert schon etwas zurück. Ob "verbindlich" oder nicht, die von den EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Ziele würden jedenfalls die künftige Politik und Strategie der Union leiten, hieß es bereits. Rechtlich verbindlich sind die Gipfelbeschlüsse ohnehin nicht.
Je ambitionierter aber die Ziele, desto stärker das Signal der EU an die Welt und desto mehr Rückhalt hätte Merkel beim G8-Treffen, so die Logik. Und auch, dass schon die Erfüllung des eigentlich völkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokolls vor allem die EU ernstnimmt - und dem Ziel von Minus acht Prozent bis 2012 gegenüber 1990 trotzdem hinterherhinkt - lassen die Befürworter der ambitionierten Klimaschutzlinie nicht gelten. Allein der Ausbau der erneuerbaren Energien berge auch unheimliches wirtschaftliche Potential, schwärmte etwa Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso: An die 300.000 neue Arbeitsplätze und einen Umsatz von 20 Milliarden Euro. Und wie wichtig die Deckelung der Erderwärmung mit zwei Grad Celsius sei, illustrierte ein Vertreter des deutschen EU-Vorsitzes mit einem Negativbeispiel: "Fünf Grad weniger bedeutete eine Eiszeit mit Gletschern bis kurz vor Berlin."