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Nur ein weiteres Papier für Roma?

Von Bernd Vasari

Politik

Fahrplan für Europas größte Minderheit. | Neid, wenn nur die Roma unterstützt werden. | "Arm, aber glücklich" ist nur ein Klischee. | Wien. Der internationale Roma-Tag am 8. April 2011 steht aus Sicht der Europäischen Union ganz im Zeichen eines neuen Europa-Fahrplans für den gesellschaftlichen Aufstieg der größten europäischen Minderheit. Die ungarische Präsidentschaft hat bereits angekündigt, einen entsprechenden Vorschlag der Kommission zu unterstützen.


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Im Juni werden dann die Staatschefs der einzelnen Mitgliedsstaaten die endgültige Version festlegen. Viele Roma-Experten sind aber skeptisch, vor allem in Bezug auf die Umsetzung, und sehen in dem Aktionsplan nur ein weiteres Papier in der Roma-Frage.

"Wir müssen die nationalen Regierungen in die Pflicht nehmen", so Hannes Swoboda, Europa-Abgeordneter (SPÖ) und Roma-Experte, "es gibt derzeit kein Land mit durchgreifenden Initiativen, sondern nur ein paar Einzelprojekte, die positiv wirken." Auch Katalin Brenner, Desk Officer für Roma Inclusion in der Europäischen Kommission, ist derselben Meinung. Sie steht dem neuen Aktionsplan positiv gegenüber, betont aber anhand von fünf Punkten, dass die Voraussetzungen für die Inklusion der Roma von Seiten der Kommission bereits gegeben sind. Die Nationalstaaten müssten nur mitmachen: "Erstens bestehen starke Rechtsstrukturen, zweitens gibt es genügend Geld im Strukturfonds, das kaum für die Roma-Frage genützt wird. Weiters koordiniert die Kommission Projekte in den Bereichen Bildung und Beschäftigung und wir haben eine Europäische Plattform für die Einbeziehung der Roma geschaffen. Viertens rufen wir die Nationalstaaten immer wieder auf, uns konkrete Strategien zu präsentieren, und fünftens hat die Kommission Pilotprojekte ins Leben gerufen. Eines davon kümmert sich etwa um die Vorschulbildung von Roma-Kindern ab drei Jahren."

Valeriu Nicolae, Gründer und Präsident des Policy Centers für Roma und Minderheiten in Bukarest, kritisiert die Herangehensweise der Kommission. Das Hauptproblem sind seiner Ansicht nach die fehlenden Experten im Exekutivorgan der Union: "Das wäre so, als würden die Roma aus den Ghettos über Atompolitik entscheiden", so Nicolae während einer Diskussionsveranstaltung am Dienstag im Wiener Haus der EU. Auch Hannes Swoboda ist gegen eine Politik von oben: "Wenn wir Roma-Kinder in die Schule bringen wollen, dann sollten Roma, die die Situation kennen und einschätzen können, mit Roma-Eltern reden." Gegenüber der "Wiener Zeitung" verweist er auf ein gut funktionierendes Schulprojekt des Bukarester Bezirksbürgermeisters Marian Vanghelie, der selber Roma ist.

Neben der Politik von oben tritt laut den beiden Soziologinnen Dragana Antonijevic und Ana Bani-Grubii auch immer wieder das Roma-Klischee der Mehrheitsgesellschaft "arm aber glücklich" auf. In ihrer Studie "Vicious circle of identity - Romani Hip Hop in Serbia between inclusion and exclusion", die kürzlich im Rahmen einer vidc-Veranstaltung im Wiener Ostklub präsentiert wurde, haben die beiden serbischen Forscherinnen die kulturelle Praxis des "Roma Hip Hop" in Serbien unter die Lupe genommen. "Seit 2006 engagiert sich die britische NGO R-Point und versucht eine Musikkultur von außen auf die Roma-Kids zu übertragen", erzählt Bani-Grubii. "Das Leben der Kids hat dabei weder etwas mit dem Inhalt der Texte zu tun, noch hören sie die Musik in ihrer Freizeit." Dragan Ristic, Frontman der Belgrader Roma-Band "Kal", bestätigt dies: "Außerhalb dieser NGO gibt es keinen Roma-Hip Hop." Antonijevic: "Unter 8000 Einträgen im angesagtesten Hip-Hop-Forum in Serbien (www.radivizija.com) handeln nur eine Handvoll von Roma-Rap."

Teil der Armutsbekämpfung

Für Barbora Cernuáková, Generalsekretärin von Amnesty International, ist die Segregation der Roma ein Dorn im Auge: "In der Slowakei gehen die Roma-Schüler in separate Schulen, getrennt von der Mehrheitsgesellschaft." Es gibt bereits konkrete Strategien in einzelnen Ländern, doch es fehlt an der Umsetzung, so Cernuáková. Auch die Gewalt gegen Roma darf vom Staat nicht toleriert werden. Das würde sonst ein gefährliches Signal an die Gesellschaft senden. Eine entscheidende Frage für Valeriu Nicolae stellt sich hier auch im Hinblick auf den EU-Fahrplan: "Wie will die Kommission die Nationalstaaten zur Umsetzung bewegen? Werden Sanktionen kommen oder bleibt es bei der Devise sitzen und reden?" Er verweist auf die im Jahr 2005 installierte Dekade zur Inklusion der Roma, für die 12 europäische Nationalstaaten mit erheblichen Roma-Minderheiten unterschrieben haben. "Seitdem ist nichts passiert."

Hannes Swoboda sieht ein weiteres Problem in der Eifersucht von anderen armen Menschen der Europäischen Union, die im Gegensatz zu den Roma weniger im Blickpunkt stehen: "Es herrschen katastrophale hygienische Zustände in den Roma-Siedlungen. Durch die Wirtschaftskrise sind die Roma noch stärker unter Druck geraten. Man sollte aber nicht den Fehler begehen und nur die Roma unterstützen. Es besteht ein generelles Armutsproblem. Man sollte die Verbesserung der Lage der Roma als Teil der Armutsbekämpfung in Europa sehen."