Mehrere angeborene Krankheiten mit schwerster geistiger Behinderung und körperlichen Missbildungen können im 3. bis 5. Schwangerschaftsmonat festgestellt werden, so dass eine in diesem Fall gesetzlich erlaubte Abtreibung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck werden Zellen der Leibesfrucht entnommen und genetisch oder biochemisch auf Schädigungen untersucht. Die Gewinnung der Fetuszellen geschieht durch einen operativen Eingriff, der das Risiko einer Fehlgeburt geringfügig erhöht. Nun haben französische Forscher eine genial einfache risikolose Methode der Vorgeburtsdiagnose entwickelt, bei der die vereinzelt im Blut der werdenden Mutter schwimmenden Zellen des Kindes von dort herausgeholt werden.
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Die häufigste angeborene Krankheit ist, was volkstümlich Mongolismus und in der Medizin nach dem englischen Erstbeschreiber Down-Syndrom oder, weil bei den Patienten das Chromosom 21 dreifach vorkommt, Trisomie 21 genannt wird. Die durchschnittliche Häufigkeit ist ein Fall unter 700 Lebendgeborenen, und sie steigt mit zunehmendem Lebensalter der Mutter: Bei 30jährigen Müttern gibt es ein Kind mit dem Down-Syndrom unter rund 830 Geburten, bei 40jährigen eines unter rund 90, bei 45jährigen eines unter 24 und bei 46jährigen eines unter 19 Geburten. Das Risiko der Geburt eines Kindes mit einer Chromosomenstörung - es gibt noch mehrere andere - beträgt für junge Mütter 0,2 und für 46-Jährige sieben Prozent.
Aus diesem Grund wird für werdende Mütter über 35 Jahre eine pränatale (vorgeburtliche) Diagnose empfohlen, ebenso für solche, die bereits ein geschädigtes Kind zur Welt brachten oder einer Familie oder einer Bevölkerungsgruppe angehören, in der es häufig zu bestimmten Erbleiden kommt.
Derzeitige Methoden
Es gibt zwei Hauptmethoden, um Zellen des Fetus, wie die Leibesfrucht nach Abschluss der Organentwicklung, das heißt, nach dem 3. Schwangerschaftsmonat genannt wird, für eine genetische oder biochemische Untersuchung zu gewinnen: die Amniozentese oder Fruchtwasserpunktion, die in den 60er Jahren in Gebrauch kam, und die Chorionbiopsie, die etwas später eingeführt wurde. Das Amnion, auch Eihaut, Schafshaut oder Wasserhaut genannt, ist die Embyonalhülle, die das Fruchtwasser enthält, in der das werdende Kind freibeweglich eingebettet liegt und gegen Erschütterungen und Stöße geschützt wird. Das Chorion, die Zottenhaut, ist eine schützende und nährende Embryonalhülle, die später den kindlichen Teil des Mutterkuchens (der Plazenta) bildet. Unter Biopsie versteht man die Entnahme und Untersuchung von Gewebe, also von Zellen, aus dem lebenden Organismus.
Die Amniozentese, meist in der 15. bis 17. Schwangerschaftswoche angewendet, ist das Durchstechen der Bauchdecke und der Schafshaut mit einer Hohlnadel, um 10 bis 20 Kubikzentimeter Fruchtwasser anzusaugen, in dem sich genügend viele Fetalzellen zur Untersuchung befinden. Der Eingriff erfolgt unter andauernder Ultraschallüberwachung. Während es für die Mutter kaum Komplikationen gibt, erhöht sich das Fehlgeburtsrisiko um 0,2 bis 1 Prozent.
Bei der Chorionbiopsie, gewöhnlich in der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche, wird der Zottenhaut durch die Bauchdecke oder durch den Gebärmutterhals hindurch, ebenfalls unter Ultraschallkontrolle, mit einer Nadel 10 bis 15 mg Zellgewebe entnommen. Hier kann es bei der Frau zu Blutungen und Unterbauchkrämpfen kommen, beim Fetus ebenfalls zu 0,2 bis 1 Prozent mehr Fehlgeburten oder zu Fehlbildungen der Gliedmaßen. Es ist daher zu begrüßen, wenn eine Methode gefunden wird, die diese minimalen Gefahren nicht in sich birgt.
Im Jänner 2000 erschien im American Journal of Pathology ein Artikel mit dem Titel "Isolierung von epithelialen (die oberste Zellschicht bildenden) Tumorzellen nach der Größe". Darin beschrieben 13 französische ForscherInnen unter der Leitung von Patrizia Paterlini-Bréchot vom Nationalinstitut für Gesundheit und medizinische Forschung (INSERM) eine neue Technik, um im Blut kreisende, Metastasen bildende Krebszellen, von denen nur eine in einem Kubikzentimeter enthalten ist, trotz dieser großen Seltenheit zwecks Untersuchung herauszufischen.
Fetuszellen im Blut
Das Verfahren namens ISET (Isolation by Size of Epithelial Tumor Cells) beruht darauf, dass die Tumorzellen der meisten Krebsarten wesentlich größer sind als die Blutzellen, die roten und weißen Blutkörperchen. Weiters ist das Verfahren leicht und rasch durchzuführen und billig.
Auch ins Blut der werdenden Mutter gelangen Zellen des Fetus, allerdings nur einige wenige je Kubikzentimeter. Und auch sie sind größer als die roten und weißen Blutkörperchen. Daher war es für Paterlini-Bréchot und ihr Team naheliegend, auch zur Gewinnung von Fetuszellen für eine vorgeburtliche Diagnose die ISET-Methode anzuwenden. Im Jänner 2002 veröffentlichte sie, ebenfalls im American Journal of Pathology, eine Arbeit mit dem Titel "Anreicherung, immunomorphologische und genetische Charakterisierung von im mütterlichen Blut kreisenden fetalen Zellen".
Routinemäßiges Verfahren
Von 13 werdenden Müttern in der 11. bis 12. Schwangerschaftswoche wurde Blut abgenommen und es zeigte sich, dass 2 Kubikzentimeter genügen, um Fetuszellen zu erlangen. Mit verschiedenen Methoden wurde nachgewiesen, dass es sich tatsächlich um Zellen des Kindes handelte. Weitere Studien sollen zeigen, ob es möglich ist, das Verfahren schon vor der 11. Woche anzuwenden, so dass zukünftige Eltern, die ein geschädigtes Baby befürchten, nicht so lange angstvoll auf ein Ergebnis warten müssen. Falls sich die Methode in weiteren Versuchen als geeignet erweist, könnte sie die bisherigen Verfahren ersetzen und Schwangeren routinemäßig angeboten werden.