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Bei der Stichwahl werden die Karten völlig neu gemischt, der Erste kann zum Außenseiter werden. Eine Spekulation.
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Wien. Knapp dürfte es am Sonntag werden, sehr knapp sogar. Es kann sogar sein, dass es so knapp wird, dass erst der Montag, wenn die Stimmen der Briefwähler ausgezählt werden, Klarheit schaffen wird, welche der sechs Kandidaten in die Stichwahl am 22. Mai einziehen werden.
Die Spannung dieser Wahl liegt dabei nicht nur im prognostizierten engen Abstand zwischen den Bewerbern beim ersten Wahlgang, sondern auch in einer kaum vorhersehbaren Rollenverteilung für die Stichwahl. Wäre der und die Erstplatzierte am Sonntag überhaupt Favorit? Wer hat gegen wen bessere Chancen? Und wie werden sich jene Parteien entscheiden, deren Kandidat nicht in die Stichwahl eingezogen ist? Es kann durchaus sein, dass geschickt gesetzte Wahlempfehlungen die Vorzeichen umdrehen.
Eine der wesentlichen Fragen ist, ob FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, so er in die Stichwahl kommt, eine seriöse Chance auf das Präsidentenamt hat. Die Freiheitlichen schweben zwar seit Monaten bei der Sonntagsfrage in lichten Höhen jenseits der 30 Prozent, doch erstens reichen auch 40 Prozent nicht und zweitens polarisiert die FPÖ wie keine andere Partei. Das könnte dazu führen, dass der Großteil jener Wähler, die im ersten Durchgang nicht für Hofer votierten, am 22. Mai beim Alternativkandidaten ihr Kreuz machen - wer auch immer gegen Hofer antreten sollte.
Dass ein FPÖ-Kandidat bei einer landesweiten Wahl 50 Prozent plus auf sich ziehen kann, galt in Österreich bis vor Kurzem als undenkbar. Allerdings scheint in der heimischen Innenpolitik das Undenkbare nicht mehr zu existieren. Zumindest nicht bei dieser Wahl. Rot und Schwarz nicht in der Stichwahl? War ja ebenso undenkbar.
"Wenn es Hofer schafft, nimmt er zunächst einmal alle freiheitlichen Wähler mit", sagt der Politologe Peter Hajek. Das werden wohl zwischen 20 und 25 Prozent sein. "Hofer könnte dann die Hälfte der ÖVP-Stimmen erhalten und ein Sechstel von der SPÖ." Er wäre dann zwar von einer absoluten Mehrheit noch entfernt, aber nicht mehr sehr weit, nicht unaufholbar. Und in einem zugespitzten Wahlduell kann viel passieren. Ob Hofer gegen Irmgard Griss oder Alexander Van der Bellen bessere Chancen hätte, ist schwierig zu prognostizieren. Er wäre aber wohl gegen beide in der Außenseiterrolle.
Gibt es Wahlempfehlungen?
Griss steht jedoch der ÖVP näher und dürfte sich mehr Khol-Stimmen sichern können als Van der Bellen. Umgekehrt ist jedoch nicht unbedingt zu erwarten, dass Van der Bellen im selben Ausmaß Wähler gewinnen wird, die im ersten Durchgang noch Rudolf Hundstorfer gewählt haben. Bei dieser Konstellation wäre auch interessant, ob die SPÖ für die Stichwahl eine Wahlempfehlung geben wird, schließlich koalieren die Sozialdemokraten in Wien mit Grün, im Burgenland mit Blau.
Eine Stichwahl zwischen Griss und Van der Bellen ist nach heutigem Stand völlig offen. Da sich der ehemalige Uni-Professor aber selbst ein Duell mit Hofer wünscht (und Hofer vice versa mit Van der Bellen), könnte daraufhin deuten, dass sich beide gegen Griss eher schlechtere Chancen ausrechnen.
Kommt Griss gegen Van der Bellen in die Stichwahl, wird sie sich wohl den Großteil der Khol-Stimmen sichern, vielleicht sogar mehr als im Fall eines Duells mit Hofer. Doch was passiert mit den Stimmen von Hundstorfer und Hofer aus dem ersten Wahlgang? "Diese Stichwahl wäre unglaublich spannend", sagt Hajek.
Für die Fans beider Lager, SPÖ und FPÖ, wäre es wohl jedenfalls keine Herzensentscheidung, Van der Bellen beziehungsweise Griss ihre Stimmen zu leihen. Van der Bellen dürfte bei der SPÖ-Basis wohl die besseren Karten haben. Er war selbst einmal Parteimitglied und hat in den ORF-Duellen erwähnt, dass er liebend gerne Barbara Prammer (SPÖ) bei einer Kandidatur unterstützt hätte, wenn sie noch leben würde.
Die Hofer-Wähler dürften wiederum grundsätzlich eher Griss näher stehen, zumal sich Van der Bellen klar deklariert hatte, die FPÖ nicht angeloben zu wollen. Griss wäre als deklarierte Unabhängige für Protestwähler auch weit eher wählbar. Leicht wird es den Hofer-Wählern aber wohl nicht fallen. Jedenfalls wäre dies eine Konstellation, bei der man damit rechnen müsste, dass die Wahlbeteiligung deutlich unter jener vom 24. April liegt. Es wird daher auch eine Frage der Mobilisierung sein.
Das kleinere Übel
Am 22. Mai geht es eben nicht nur darum, wen die Wählerinnen und Wähler gerne als Bundespräsident hätten, sondern auch darum, wen sie unbedingt vermeiden wollen oder mit wem sie ein bisschen besser leben können. Auch hier wäre es interessant, wie und ob sich die Parteien, die mit ihrem Kandidaten nicht in der Stichwahl vertreten sind, deklarieren werden. Wird es offizielle Wahlempfehlungen von SPÖ, ÖVP und FPÖ geben?
Sollte entgegen den Umfragen Hundstorfer in die Stichwahl einziehen, wäre er dort dann wiederum durchaus chancenreich. Gegen Van der Bellen würde er wohl doch einen Gutteil der Hofer-Stimmen erhalten, das allein könnte reichen. "Das wäre dann eine reine Mobilisierungsfrage", sagt Hajek. Auch gegen Hofer wäre der ehemalige Sozialminister Favorit, ein Duell gegen Griss wäre dagegen wieder sehr offen.
Andreas Khol könnte in einer Stichwahl gegen Van der Bellen wie auch gegen Hofer reüssieren, gegen Griss vermutlich nicht. Für Hundstorfer und Khol stellt die Stichwahl die größte Hürde dar, möglicherweise auch für Irmgard Griss. Laut Umfragen könnte sie den zweiten Wahlgang knapp verfehlen. Wenn sie aber in die Stichwahl kommen sollte, wäre Griss wohl leicht im Vorteil. Und zwar gegen alle.