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Nur einer statt drei Volksanwälte

Von Peter Hilpold

Recht

Eine Reformdiskussion der Volksanwaltschaft ist längst überfällig.


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Zur österreichischen Volksanwaltschaft ist unvermittelt eine Reformdiskussion entbrannt. Dabei geht es nicht um eine Personalie: Diese Diskussion ist überfällig, und dies wird auch schon anhand der Argumente deutlich, die Axel Pohn-Weidinger im "Standard"-Gastkommentar vom 13. August 2022 anführt.

Die Idee der Volksanwaltschaft ist skandinavischen Ursprungs und hat mittlerweile weltweit in zahlreichen Ländern Umsetzung gefunden. In Österreich wurde die Volksanwaltschaft 1977 eingerichtet - allerdings mit durchaus "österreichischen Spezifika".

So ist die österreichische Volksanwaltschaft eine Bundesbehörde mit drei "Mitgliedern", die als eigenständige Volksanwälte mit separatem Wirkungsbereich wahrgenommen werden. Der österreichische Parteienproporz scheint hier durch: Die Bestellung der drei Volksanwälte erfolgt durch die jeweils drei mandatstärksten Parteien - für sechs Jahre mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederbestellung.

Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang der starke parteipolitische Konnex, das Fehlen eines parlamentarischen Diskurses bei der Bestellung der Volksanwälte sowie der Umstand, dass einzelne Volksanwälte ihre Funktion nur als Zwischenstopp in einer Karriereplanung sehen, die auf Höheres abstellt. Diese Problempunkte bedingen einander wechselseitig.

Ein Lösungsansatz könnte darin bestehen, dass tatsächlich nur ein Volksanwalt bestellt wird, gegebenenfalls mit zwei oder drei Stellvertretern. Das gegenwärtige Gehalt von 15.000 Euro monatlich ist zwar durchaus respektabel, könnte aber für den einen Volksanwalt beispielsweise auf das Niveau des Gehalts des Nationalratspräsidenten (knappe 20.000 Euro monatlich) erhöht werden, wodurch die Statusmehrung der Einzelfunktion auch noch gehaltsmäßig eine Bestärkung erfahren würde. Ein weiterer Funktionswechsel wäre damit weniger attraktiv und entsprechend auch die politische Abhängigkeit geringer.

Die aktuelle Segmentierung der Zuständigkeit wäre damit behoben und Spielraum für weitere Reformmaßnahmen geschaffen: Den stellvertretenden Volksanwälten könnte eine besondere Vermittlungsrolle zugedacht werden, also die Aufgabe, Probleme und Konflikte im Vorfeld durch Gespräche mit den zuständigen Ministerien zu klären beziehungsweise unter Umständen auch Mediationsverfahren zwischen den Beteiligten zu organisieren und zu leiten.

Dem eigentlichen Volksanwalt könnte die Aufgabe zufallen, rechtliche Letztbeurteilungen vorzunehmen, wenn eine Schlichtung nicht gelingen sollte. Damit wäre auch sichergestellt, dass sich eine einheitliche Beurteilungslinie herausbildet und eine Qualitätssteigerung in der rechtlichen Beurteilung herbeigeführt werden könnte. Zudem würde, wenn die rechtliche Endbeurteilung (dann aber in qualitativ hochwertiger Form unter Einbeziehung externer Experten) nur noch eine (vermeidbare) Eventualität darstellen würde, ein Anreiz geboten, eine einvernehmliche Lösung zwischen den Streitbeteiligten zu finden.

Berichte als Gegenstand einer echten Diskussion

Die im Nationalrat präsentierten Berichte sollten Gegenstand einer echten Diskussion werden, wozu auch eine Einbeziehung und Veröffentlichung kurzer Stellungnahmen der Konfliktbeteiligten dienlich wären. Die Tätigkeit der Volksanwaltschaft sollte einer regelmäßigen Evaluierung unterzogen werden, wobei die Aussagen der Streitbeteiligten zur Zufriedenheit mit dem Konfliktlösungsbeitrag der Volksanwaltschaft hilfreich wären.

Ein ganz zentraler Punkt betrifft die stärkere Ausrichtung am EU-Recht: Seit 1977 hat sich das rechtliche Umfeld, in dem die Volksanwaltschaft tätig ist, dramatisch verändert. Das nationale Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten ist mittlerweile stark vom europäischen Verwaltungsrecht geprägt (siehe nur Hilpold, EuZW 4/2022, S. 162-165). Oft muss man feststellen, dass die Existenz des Allgemeinen Rechtsgrundsatzes der "guten Verwaltung" in Österreich noch weitgehend unbekannt ist. Die dabei zu lösenden Aufgaben sind zugegebenermaßen komplex. Die Einrichtung einer eigenen Europarechtsabteilung bei der Volksanwaltschaft wäre deshalb dringend erforderlich.

Vielfach übersehen wird in Österreich auch, dass innerhalb der EU die nationalen Volksanwaltschaften funktionell europäische Aufgaben wahrnehmen, wenn es um Beschwerden gegen die nationale Umsetzung von EU-Recht geht. Die Europäische Bürgerbeauftragte in Straßburg, die innerhalb der EU-Institutionen geradezu vorbildhafte Arbeit leistet, ist nur für die Kontrolle der EU-Organe zuständig, nicht aber für die Kontrolle der nationalen Institutionen bei der Umsetzung von EU-Recht. Ein Großteil des EU-Rechts wird aber national (also nicht unmittelbar) umgesetzt, und in diesem Zusammenhang kommt den nationalen Bürgerbeauftragten (Volksanwaltschaften) eine äußerst wichtige Funktion zur Wahrung des Unionsrechts zu, die gezielt (gegebenenfalls gesetzlich) in Erinnerung gerufen werden sollte.

In diesem Zusammenhang müsste auch über eine erweiterte Zuständigkeit der Volksanwaltschaft im judiziellen Bereich nachgedacht werden. Gerade, wenn nationale Gerichte EU-Recht missachten, können die Konsequenzen für die Bürger gravierend sein: Man denke nur an Höchstgerichte, die systematisch Auslegungsfragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht vorlegen oder sogar Vorlageanträge ohne jegliche inhaltliche Begründung einfach ignorieren. Da die Beschwerdemöglichkeit beim EuGH mit einer Zulässigkeitsrate um fünf Prozent de facto kaum mehr wirksam ist, wäre eine solche Kontrolle umso wichtiger.

Hin zu einer europäisch orientierten Institution

Hier konnten nur einige wenige - besonders dringende - Reformvorschläge vorgetragen werden. Die aktuelle Reformdiskussion könnte (und sollte wohl) Anlass für die Einsetzung einer Reformkommission sein. Ziel müsste es sein, dass das demokratiepolitisch äußerst wichtige Instrument der Volksanwaltschaft, das gegenwärtig noch in vielem von der österreichischen rechtspolitischen Realität der Zeit seiner Einführung geprägt ist, immer mehr eine europäisch orientierte, der Verwirklichung des unionalen Rechtsstaatlichkeitsprinzips verpflichtete Institution wird. Damit könnte diese im europäischen Kontext auch gleichzeitig dem internationalen Gedanken der Ombudsmann-Einrichtungen besser gerecht werden.

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