Zeigen die USA mit ihrer Politik des Stillschweigens nur Ratlosigkeit oder geben sie Israel freie Hand für sein Vorgehen im Libanon? Wenn man diversen Presseberichten glauben darf, ist diese Frage zugunsten der zweiten Möglichkeit beantwortet. Demnach sind die Attacken mit den USA abgesprochen, die lediglich wollen, dass sie nicht zu lange dauern.
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Damit kristallisiert sich mehr als eine Woche nach Ausbruch der Kämpfe allmählich heraus, welche Strategie Israel mit seinem Feldzug gegen den Libanon verfolgt. Diese dürfte so aussehen: Israel wird noch eine Zeitlang den Libanon bombardieren, gleichzeitig rücken seine Truppen in den Südlibanon ein, um die Hisbollah-Milizen aus ihren Stellungen zu vertreiben. In die so freigemachte Zone könnten nach langwierigen Verhandlungen UNO-Friedenstruppen einziehen, während gleichzeitig ein Gefangenenaustausch zwischen Israel und dem Libanon stattfindet.
Ein solches Ergebnis ist durchaus nicht unrealistisch - immer vorausgesetzt, der Iran und Syrien werden nicht noch in größerem Ausmaß involviert. Bisher belässt es Teheran dabei, mit Verbalradikalismen in der islamischen Welt zu punkten. Somit bleibt es vorläufig beim "Stellvertreterkrieg", wie der Konflikt vielfach bezeichnet wird - statt der Achse Iran-Syrien und die USA treffen Milizen und Israel aufeinander.
Unklar ist unterdessen, was geschehen soll, wenn das geschilderte Szenario eingetreten sein wird. Der Libanon wird nicht nur einen hohen Blutzoll zu beklagen haben, sondern auch, wie von den israelischen Militärs versprochen, um Jahrzehnte zurückgeworfen sein. Der jetzt in Beirut demonstrierte nationale Schulterschluss könnte dann rasch der Vergangenheit angehören, ein neues Chaos droht.
Noch viel ungewisser ist die Situation im Gaza-Streifen, in dem die israelische Armee im Schatten des Libanon-Krieges weiter aktiv ist. Eine neue Besetzung sei nicht geplant, wird in Jerusalem versichert, aber in welchem Zustand der Unruheherd zurück gelassen werden soll, ist offen. In der israelischen Öffentlichkeit mehrt sich zudem die Kritik, dass man sich im Sommer 2005 aus dem Gaza-Streifen ohne Bedingungen abzog, was zum Erstarken der Hamas geführt hätte. Angesichts dessen sind auch die Pläne, sich einseitig aus dem Westjordanland zu verabschieden, gefährdet. Dabei hatte die "Kadima"-Partei, mittlerweile von Ehud Olmert geführt, genau mit diesem Versprechen die Wahl Ende März gewonnen - heute haben solche Vorhaben laut Umfragen keinen Rückhalt mehr.
Nur eine Zukunftsprognose ist leicht zu erstellen: Israel und die unterstützenden USA werden in der islamischen Welt noch mehr Hass auf sich ziehen - auch in jenen sunnitischen Staaten wie Saudi-Arabien oder Ägypten, deren Führung sich von der Hisbollah distanziert. Sogar in der Türkei, meinte deren Außenminister Gül am Donnerstag, lasse Israels Vorgehen die anti-westliche Stimmung wachsen. Seiten 6 und 7